Essen.. Urlaub in Essen? Das klingt ungewöhnlich, doch es gibt Touristen, die ihre Ferien in Essen verbringen. Sie besuchen Zollverein, genießen die Idylle an der Ruhr.
Ferienzeit – Urlaubszeit: Viele Essener sind derzeit unterwegs. Aber es gibt auch den umgekehrten Weg öfter als viele Einheimische meinen: Urlauber, die dem Alltag von zu Hause entkommen wollen besuchen die Metropole des Ruhrgebiets, um sich hier inspirieren zu lassen. Auf dieser und den folgenden Seiten finden Sie:
- Im Interview spricht der Essen Marketing-Chef Dieter Groppe über Essen als Urlaubsziel, die beliebtesten Sehenswürdigkeiten und das Image der Stadt.
- Essens touristische Höhepunkte können Besucher auf einer Stadtrundfahrt kennenlernen (Seite 2).
- Die Karkowskis leben in Essen – und machen hier auch Urlaub. Sie lieben die Ruhr-Idylle (Seite 3).
- Die Schwestern Margot Klein und Herta Klumb machen einen Kurzurlaub im Bauwagen (Seite 4).
- Besucher aus ganz Deutschland sind bei den Führungen auf Zollverein dabei (Seite 5).
Herr Groppe, was würden sie einem Freund, der noch nie hier war, als erstes bei seinem Besuch in Essen zeigen?
Dieter Groppe: Zu allererst die Zeche Zollverein. Die Industriekultur ist DAS Alleinstellungsmerkmal des Ruhrgebiets. Und die Zeche Zollverein als Welterbe der Unesco ist die Kathedrale dieser Kultur. Es ist die bekannteste Sehenswürdigkeit hier und für mich auch die spannendste. Es gibt dort so viel zu entdecken. Selbst bei schlechtem Wetter kann man noch ins Ruhrmuseum gehen. Alleine der Eingang mit der 23 Meter langen Rolltreppe ist da schon beeindruckend für Gäste.
Wohin geht es danach?
Groppe: Als zweites wäre der Essener Süden mit dem Baldeneysee an der Reihe. Ich würde mit meinem Besuch von der Margarethenhöhe aus über den Schuirweg durch Werden zum See fahren. Wir leiden ja immer noch unter dem Image, hier wäre es nicht grün. Bei der Strecke glauben dann viele, dass könne ja gar nicht Essen sein. Dabei sind wir deutschlandweit die dritt-grünste Großstadt. Und danach geht es in die Innenstadt.
In die Innenstadt? Wirklich?
Groppe: Ja genau. Dort finde ich die Wechselbilder interessant. Bei einer Führung würde ich versuchen, das Unterschiedliche aufzuzeigen. Etwa die Domschatzkammer, die bedeutendste Sammlung kirchlicher Kunstwerke nördlich der Alpen. Als Kontrast dazu zeige ich dann den Limbecker Platz, das größte innerstädtische Einkaufszentrum in Deutschland.
2010 war Essen Europas Kulturhauptstadt. Ist der Schub von damals noch spürbar?
Groppe: Ja, wir merken es bis heute bei den Besucherzahlen. Und bei Gesprächen in der Touristikzentrale mit den Urlaubern. Die Highlights wie etwa die Sperrung der A 40 ist immer noch in den Köpfen der Leute.
Wo kommen die Urlauber in erster Linie her?
Groppe: Die meisten Besucher sind aus Deutschland. Aus dem Ausland sind es hauptsächlich Belgier und Holländer. Da sind die meisten Tagestouristen. Mit etwas Abstand kommen die Engländer. Die Leute kommen aber nicht nur im Sommer. Auch im Winter sind viele Touristen in Essen. Die Weihnachtsmärkte oder die Lichtwochen ziehen die Menschen an.
Was muss getan werden, um noch mehr Touristen nach Essen zu locken?
Groppe: Wir müssen unser Image insgesamt weiter verbessern. In einigen Gebieten in Bayern glauben sie immer noch, hier gäbe es nur Kohle und Stahl.
Und welches Image würden Sie gerne vermitteln?
Groppe: Wir müssen den Facettenreichtum zwischen Natur und urbanem Leben noch mehr herausstreichen. Und die Dichte an Kulturstätten im gesamten Ruhrgebiet. Die gibt es nur hier.
Jetzt mal nicht den Marketing-Chef gefragt, sondern den Bürger: Wohnen Sie selbst gerne in Essen?
Groppe: Ich persönlich möchte nirgendwo anders wohnen.
Eine Busfahrt voller Sehenswürdigkeiten
"Hier würde ich gerne wohnen!“ Angela Constanzo schaut aus dem Busfenster. Unter ihr liegt der Kleine Markt auf der Margarethenhöhe. Es ist Mittwoch, Markttag, und auf dem Platz vor dem Gasthaus herrscht ein reges Treiben. Angela Constanzo ist angetan von der Gartenstadt, von den schnuckeligen Häuschen, vom Markt im Herzen der Siedlung.
Die unter Denkmalschutz stehende Margarethenhöhe ist eines der Ziele, die bei der Stadtrundfahrt durch Essen vom Touristenbus angesteuert werden. Drei Mal am Tag klappert der Cabrio-Bus in den Sommermonaten (ab November nur am Wochenende) die bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt ab: Zollverein mit Doppelbock im Norden; Innenstadt, Philharmonie und Folkwang Museum im Zentrum; Margarethenhöhe, Villa Hügel und den Baldeneysee im Süden.
Angela Constanzo besucht ihre Cousine Kirsten Jänecke in Essen. Sie selbst wohnt in Meßstetten in Baden-Württemberg. Die Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb liegt auf über 900 Metern und zählt damit zu den höchst gelegenen Städten in ganz Deutschland. In Essen war die Schwäbin schon öfter, die Rundfahrt macht sie zum ersten Mal. „Es gibt hier einiges zu sehen“, sagt Constanzo. „Aber es ist wie zu Hause: Was man direkt vor der Haustür hat, da kommt man nie hin.“
Voll wird es an den Wochenenden
An diesem Vormittag unter der Woche ist der Bus nur recht spärlich gefüllt – voller wird es in der Regel an den Wochenenden, sagt der Betreiber, ein Unternehmer aus Münster. Das Publikum ist bunt gemischt: Ein niederländisches Ehepaar schaut sich die Stadt an, auch ein Radfahrer aus Kassel sitzt im Bus – er ist auf dem Ruhrtal-Radweg unterwegs und macht hier für eine Nacht Station. Aus dem Lautsprecher informiert eine Stimme vom Band über die Geschichte der Stadt und vermittelt Infos über ihre herausragenden Sehenswürdigkeiten.
Aber nicht nur Touristen sind im Bus dabei. Am Welterbe steigt Rainer Kaminski ein. „Ich finde so eine Stadtrundfahrt auch als Einheimischer spannend“, sagt er. „Man kommt ja auch als Essener nicht in alle Stadtteile. Auf der Margarethenhöhe war ich schon ewig nicht mehr.“
Und dann ist da noch Familie Hark aus Simmerath bei Aachen. Gleich für eine Woche haben sich Franz-Josef und Susanne Hark mit den beiden Kindern in einem Hotel in Rüttenscheid einquartiert. Als Wochentouristen bilden sie die Ausnahme unter den vielen Tages- und Wochenendbesuchern. „Ich kenne Essen von der Meisterschule“, sagt Franz-Josef Hark. „Und seitdem kommen wir immer wieder gerne hierher.“ Die Familie schätzt die zentrale Lage, macht unterschiedliche Ausflüge in der Region. „Das Ruhrgebiet ist schön kompakt“, sagt Susanne Hark.
Eine kleine Rolle bei der Entscheidung für Essen spiele auch die Unsicherheit in beliebten Urlaubsregionen: der Putsch in der Türkei, der Terror in Tunesien, die Angst, einen Jet zu besteigen. Aber letztlich sind es doch die Essener selbst, die überzeugen können. „Mir gefällt der Menschenschlag“, meint Franz-Josef Hark. „Die Leute sind offen und freundlich.“
Zu Hause ist es doch am schönsten
Leon kommt hinter dem Wohnwagen hervor. Er hat ein Blatt mit einem Hirschkäfer darauf in der Hand. Er legt es auf den Gartentisch und rennt schnell in den Camper, um eine Kamera zu holen. Leon will seinen Fund auf Bild bannen. „Sie können sich nicht vorstellen, was er hier alles anschleppt“, sagt Vater Markus Karkowski. Er lächelt wohlwollend, denn darum geht es der Essener Familie beim Urlaub in ihrer Heimatstadt: Die Nähe zur Natur so oft und so lange wie möglich im Jahr zu genießen. Die Karkowskis sind Mieter der „Insel“. So nennen sie auf dem Campingplatz Cammerzell in Kettwig den hintersten Stellplatz.
Neben dem Wohnwagen der Karkowskis rinnt ein kleiner Bach entlang. An zwei weiteren Seiten der etwa 400-Quadratmeter-Parzelle fließt gemächlich die Ruhr – also eine Halbinsel, wenn man es genau nehmen will.
Der neunjährige Leon ist mit einem Kescher am Ufer auf der Jagd nach Krebsen, Schnecken und kleinen Fischen. „Die werfe ich aber wieder zurück“, versichert er. Im Hintergrund sind auf der anderen Uferseite die blauen Holzschuppen der Kettwiger Rudergesellschaft zu sehen. Ein paar Hundert Meter flussabwärts fährt gerade die S-Bahn über die eiserne Bahnbrücke. Ruhrgebiets-Idylle.
„Dieses Panorama kann einem keiner nehmen. Für uns ist es das Paradies hier“, sagt Markus Karkowski. Seit vier Jahren haben sie ihre „Insel“ gemietet und ihren fest installierten Wohnwagen mit Vorzelt dort stehen. Jeden Urlaub und die Wochenende verbringen sie seitdem in Kettwig. Und auch im Alltag versucht die Familie öfters vorbeizukommen, wenn es der Job erlaubt. Markus Karkowski ist selbstständiger Tiefbauer, seine Frau Sandra Apothekerin in Düsseldorf.
„Kurzfristig aus dem Alltag auszubrechen zu können, ist einfach toll“, sagt Markus Karkowski. Da schlägt ihm auch der durchwachsene Sommer nicht aufs’ Gemüt. Leon stört das ohnehin nicht. „Ich bin hier am liebsten wegen der Tiere“, sagt er und verschwindet mit seinem Fahrrad um die Ecke.
„Das ist schon ein kleines Abenteuer“
„Mir gefällt einfach alles hier. Bis auf das Wetter“, sagt Margot Klein lachend. Es ist einer der vielen verregneten Tage dieses Sommers. Margot Klein sitzt mit ihrer Schwester Herta Klumb an einem kleinen Küchentisch. Gegenüber zwei Herdplatten und ein Waschbecken. Ein Schrank und vor Kopf ein Bett. Das war es. Die beiden Schwestern sind für drei Tage nach Essen-Horst gekommen – vor allem zum Spazierengehen an der Ruhr. Direkt an dem Fluss übernachten sie auch. In einem der Bauwagen der Ruhrcamping-Anlage.
160 Jahre Lebenserfahrung sitzen in der grünen Ferienwohnung auf Rädern zusammen: Margot Klein aus Brühl ist 81, ihre kleine Schwester Herta Klumb, eine Kölnerin, zwei Jahre jünger. Die beiden Damen sind bester Laune. „Wir haben immer schon viel miteinander unternommen“, erzählen sie. „Zum Beispiel eine Flusskreuzfahrt oder Ausflüge in Museen.“ Zum Kurztrip nach Essen hat sie Herta Klumbs Tochter Heike Wehner eingeladen.
„Die war vor ein paar Jahren das erste Mal hier und es hat ihr so toll gefallen“, sagt Herta Klumb. Sie könne das verstehen, versichert die 79-Jährige. „Von früher kennt man den Kohlenpott ja nur grau. Heute ist es wunderbar grün.“ Auf der anderen Uferseite führt der Ruhrtalradweg entlang, den sie als Wanderweg nutzen.
Mit dessen Einweihung 2006 seien die Übernachtungsanfragen sprungartig angestiegen, sagt die Besitzerin der Anlage, Simone Bauer. Die Idee der Bauwagen-Unterkünfte wurde geboren. „Wir brauchten etwas Fahrbares, da das Grundstück in einem Hochwassergebiet liegt“, erklärt sie. Aus dem selben Grund können Gäste auch nur zwischen April und Oktober kommen. Die meisten kämen, um auf einer Radtour Zwischenstopp zu machen oder auf der Suche nach Kultur und Ruhe. „Das hier ist ein Ort zum Runterkommen, zum Entschleunigen“, sagt Simone Bauer.
Im Bauwagen von Margot Klein und Herta Klumb ist es nicht ganz so ruhig. Die Schwestern haben sichtlich Spaß an ihrem Domizil. „Das ist schon ein kleines Abenteuer für uns“, sagt Herta Klumb. In einem Bauwagen haben die Schwestern noch nie übernachtet. Trotz 160 Jahren Lebenserfahrung.
„Man fühlt sich hier zurückversetzt in eine alte Zeit“
Übernachten bei Familie oder Freunden, interessiert an Kultur und Geschichte: Ulrike und Rolf Bandl sind so etwas wie prototypische Zollverein-Besucher. Das Ehepaar ist aus Baden-Baden für ein paar Tage nach Essen gekommen, nun machen die beiden Station beim Weltkulturerbe.
Besucher aus ganz Deutschland
Ulrike Bandl, selbst aufgewachsen nahe dem Baldeneysee, will ihrem Mann die alte Heimat zeigen – und mit einem überholten Bild aufräumen. „Vielen Menschen in Süddeutschland haben immer noch eine dunkle, schmutzige Vorstellung vom Ruhrgebiet“, sagt sie. „Das ärgert mich.“ Ihr Blick schweift vom Dach der ehemaligen Kohlenwäsche über einen Mix aus grün und grau, aus neu und alt.
Zusammen mit ihrem Mann schaut sich Ulrike Bandl die industriellen Klassiker an: Auf Zeche Zollern in Dortmund ist das Ehepaar schon gewesen, durch frühere Zechensiedlungen sind sie spaziert und besuchen jetzt das Welterbe Zollverein. „Wir machen hier im Ruhrgebiet eine Tour von Zeche zu Zeche“, sagt Rolf Bandl. „Mich interessieren vor allem die technischen Hintergründe.“ Und nette Ecken jenseits der Industriekultur? Klar, die gebe es hier auch reichlich.
Wer auf Zollverein an einer offenen Führung über das Gelände – dem sogenannten Denkmalpfad – teilnimmt, der trifft auf Leute aus ganz Deutschland: Sie kommen aus München, Stuttgart, Berlin und sind für ein paar Tage zu Gast an der Ruhr. Nicht immer profitieren die hiesigen Hotels von den Gästen.
„Viele Leute, die hierher kommen, sind Sofatouristen“, sagt Martina Tendick vom Tourismusmarketing der Stiftung Zollverein. Soll heißen: Statt im Hotelzimmer kommen sie bei Freunden oder Verwandten unter. So wie Ulrike und Rolf Bandl – oder Katja Schmidt, die ihre aus der Nähe von Stuttgart ins Revier übergesiedelten Freunde besucht. „Ich bin zum ersten Mal im Ruhrgebiet“, erzählt Schmidt. „Meine Freunde haben mich zum Einstieg direkt nach Zollverein geschickt.“
Welterbe ist einen Ferientag wert
Gästeführerin Brigitte Kolberg manövriert die Besucher durch das Industriedenkmal: Es geht vorbei an alten Förderanlagen, wer will darf schweres Gerät in die Hand nehmen, in einer Halle dröhnen die Geräusche von früher aus den Lautsprechern. „Das ist nicht die Originallautstärke“, erklärt Kolberg den Besuchern mit verstärkter Stimme. „Als die Zeche noch aktiv war, ist es hier viel lauter gewesen, im Schnitt 85 Dezibel.“ Ein Geräuschpegel irgendwo zwischen Presslufthammer und Lastwagen.
„Man fühlt sich hier zurückversetzt in eine alte Zeit“, sagt Peter Horn, als sich der Ton vom Band in der nächsten Halle im Hintergrund verliert. Auch er und seine Frau gehören zu den „Sofatouristen“. Zu Besuch sind die Münchener bei Werner und Brigitta Malan aus Gladbeck. „Wir möchten unseren Freunden das Ruhrgebiet näherbringen. Da führt kein Weg um Zollverein herum“, sagt Werner Malan, der selbst beruflich bei der Ruhrkohle AG tätig war.
Familie Brandenburg aus Wuppertal ist das Welterbe einen Ferientag wert, dem Interesse an der Geschichte wegen. „Wir möchten unseren Kindern zeigen, wie es früher im Ruhrgebiet gewesen ist“, sagt Mutter Ute Brandenburg.