Essen. . “Critical Mass“-Radtouren wie am Freitag seien Demos, die unters Veranstaltungsrecht fielen, findet die Polizei. Bislang wird übers Internet aufgerufen.

  • Nach „Critical Mass“-Tour am Freitag, die von der Polizei kurz vor dem Ende aufgelöst wurde
  • Solche Veranstaltungen müssten vorher offiziell angemeldet werden, findet die Polizei
  • Das Risiko eines Unfalls, ohne, dass später Verantwortliche hinzugezogen werden könnten, sei zu groß

Die Essener Polizei will weitere, unangemeldete Massen-Radtouren durch das Stadtgebiet nicht dulden. Das kündigte Polizei-Sprecher Peter Elke am Montag an. Am Freitag war eine Tour der Aktion „Critical Mass“ mit rund 170 Teilnehmern kurz vor dem Ende von der Polizei aufgelöst worden. Radler hätten sich laut Polizei verkehrswidrig verhalten.

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„Critical Mass“-Radtouren, zu denen anonym im Internet aufgerufen wird, finden immer am zweiten Freitag des Monats in Essen statt. Seit mehr als fünf Jahren gibt es diese Touren in Essen; seit dem letzten Sommer machen jedes Mal mehr als 100 Radler mit.

Falls sich für die nächste „Critical Mass“-Tour kein Verantwortlicher finde, der die Veranstaltung vorher ordnungsgemäß anmelde, werde die Polizei die Aktion als nicht genehmigte Demonstration bewerten – und die Teilnehmer sofort zum Stopp auffordern. Das kündigte Elke an.

Fragen und Antworten rund um „Critical Mass“ und die Tour am Freitag

Sind Massen-Radtouren der Aktion „Critical Mass“, so wie sie Freitag zum 70. Mal in Essen stattfand, bloß wilde Demos, die die Autofahrer provozieren sollen? Oder hat die Polizei mit ihrem Einsatz, der zum vorzeitigen Ende der Tour führte, ein bisschen übertrieben? Fragen und Antworten zum Thema.

Was ist „Critical Mass“?

Eine Radfahr-Bewegung, die 1992 ihren Ursprung in San Francisco nahm. Es ist kein Verein, es gibt keine Verantwortlichen. Übers Internet wird zur Tour aufgerufen: In Essen startet sie an jedem zweiten Freitag eines Monats, immer ab 19 Uhr ab Willy-Brandt-Platz. In vielen deutschen Städten fahren regelmäßig mehr als 1000 Radler mit, in Essen waren es zuletzt 170.

Was soll das Ganze?

Die Radler haben die Botschaft: „We are traffic“ – wir sind der Verkehr, lassen uns nicht auf Freizeitwege abdrängen. Jede Tour läuft so ab: Jeder darf mal vorfahren und somit spontan die Richtung bestimmen. Die Tour konzentriert sich auf Straßen rund um die Essener Innenstadt.

Was steht im Gesetz?

Die „Critical Mass“-Bewegung in Deutschland beruft sich auf Paragraph 27 der Straßenverkehrsordnung. Darin steht: Ein „geschlossener Verband“ mit mehr als 15 Radlern darf die Straße nutzen und Kreuzungen als Kolonne überqueren – das heißt, radelt der erste bei Grün los, dürfen alle anderen weiterfahren, auch wenn die Ampel auf Rot umgesprungen ist. So müssen alle anderen warten. Ein „geschlossener Verband“ gilt auch für Fußgänger oder Gruppen mit Pferden oder Autokorsos. „Bei Kraftfahrzeugverbänden“, heißt es jedoch ausdrücklich, „muss dazu jedes einzelne Fahrzeug als zum Verband gehörig gekennzeichnet sein.“ So wie bei vielen Hochzeitsgesellschaften.

Was ist am Freitag passiert?

Die Essener Polizei hat die 70. Critical-Mass-Fahrt, anders als sonst, die meiste Zeit über begleitet mit Streifenfahrzeugen. Die Polizei spricht von „haarsträubenden Zuständen“. Radler hätten sich Anordnungen widersetzt. Unveranwortlich findet die Essener Polizei, dass viele Erwachsene auch ihre Kinder mitgenommen hätten.

Was sagen die Teilnehmer?

Zahlreiche Radler halten die Polizei für die Provokateure, sprechen von „rabiatem Verhalten“ seitens der Beamten. Kritisiert wird, dass aus einem Streifenfahrzeug heraus mit Handy gefilmt worden sei. Die Rede ist von einem unverhältnismäßigen Ton gegenüber den Radlern. Viele „Critical Mass“-Radler mutmaßen: Die Polizei weiß nicht, dass eine solche Tour eigentlich legal ist. Jörg Brinkmann vom Radclub ADFC vermutet: „Die Essener Polizei hatte die ,Critical Mass’ offenbar schon länger auf dem Kieker.“ Man wolle aber auf die Polizei zugehen, das Gespräch suchen, auch wenn klar sein müsse, dass der ADFC nichts mit den „Critical Mass“-Touren zu tun habe.

Was sagt die Polizei?

Es sei nur eine Frage der Zeit, bis bei einer solchen Tour ein Unglück passiere und sich dann kein Verantwortlicher finde – deshalb müssten „Critical Mass“-Touren als Demo angemeldet werden. Die Strecke wäre dann vorgegeben. Doch nur in Stuttgart, wo es Vereinbarungen zwischen Polizei und Radlern gibt, wird so verfahren – in anderen Städten findet die „Critical Mass“ ohne Anmeldung statt. In Köln gab es Versuche der Polizei, die Tour als illegale Demo einzustufen - ohne wirklichen Erfolg.