Essen/Mülheim. Vor 50 Jahren wurde die Ruhrtalbrücke fertiggestellt. 80.000 Fahrzeuge überqueren täglich die längste deutsche Straßenbrücke aus Stahl.
Wer heute mit dem Auto zwischen Essen und Düsseldorf pendelt und nicht auf Spazierfahrt ist, wird die A 52 wählen und damit auch die 28 Meter breite und 65 Meter hohe Ruhrtalbrücke. Laut Landesbetrieb „Straßen.NRW“ nutzen täglich rund 80 000 Kraftfahrer das auf 18 Pfeilern ruhende Bauwerk. Mit einer Länge von 1830 Metern gilt die Ruhrtalbrücke als längste deutsche Straßenbrücke aus Stahl.
Als das Bauwerk vor 50 Jahren für den Verkehr freigegeben wurde, wurde es gerade mal von 20 000 Fahrzeugen pro Tag benutzt. Doch schon diese Auto-Zahl war für die zuvor vom Durchgangsverkehr betroffenen Mülheimer Stadtstraßen sehr belastend gewesen. Und welche Fahrzeiten Autofahrer in der brückenlosen Zeit einzuplanen hatten, konnte man 2013 noch einmal nachempfinden, als die Brücke wegen einer Generalsanierung monatelang gesperrt war. Mancher Pendler zwischen Essen und Düsseldorf benötigte mindestens rund eine Stunde zusätzlich pro Fahrt.
Eine Brücke zur rechten Zeit
Die große verkehrliche Bedeutung eines solchen Bauwerks war den Planern schon 1959 klar, als Zeitungen erstmals über die Pläne berichteten, das Ruhrtal in voller Breite zu überbrücken. Die automobile Motorisierung breiter Bevölkerungskreise hatte wenige Jahre zuvor begonnen, galt noch uneingeschränkt als Fortschritt und hatte noch lange keinen Sättigungspunkt erreicht. Man könnte sagen: Die Brücke kam genau zur rechten Zeit.
Überlegungen, das Bauwerk auch für Radfahrer und Fußgänger passierbar sein würde, wurden rasch verworfen, was im Nachhinein schade ist. Weltweit sind begehbare Groß-Brücken dieser Art längst auch Tourismus-Attraktionen. Das gilt zumal, wenn sie in Städte oder Landschaften mit hohem ästhetischem Reiz eingepasst sind und wenn sie selbst als ein großer Wurf der Architektur gelten können. Beides trifft auf die Ruhrtalbrücke zu.
Mammutprojekt für 100 Millionen Mark
In der Rückschau auf das Mammutprojekt, das am Ende insgesamt 100 Millionen Mark verschlang, erstaunt der breite öffentliche Konsens, der damals mit Blick auf den Ausbau der alten Bundesstraße 288 herrschte. Proteste gegen das Projekt gab es nur von Landwirten, die der Brücke Teile ihrer Felder opfern mussten und eine Beeinträchtigung ihrer Landwirtschaft befürchteten. Solcher Widerspruch wurde damals in der Regel aber kaum ernst genommen, eher als konservatives Provinzlertum abgetan. Das Ziel eines autogerechten Landes, die Technik als Wert an sich und die allgemeine technikgestützte Fortschrittsgläubigkeit wurden noch bis Anfang der 1970er Jahre kaum hinterfragt. Erst die Umweltbewegung schaffte dann erstaunlich rasch den völligen Wechsel der Sichtweisen.
Schwer vorstellbar ist daher, dass ein solches Bauwerk heute eine Chance hätte. Das gilt, obwohl kaum jemand diesem harten Eingriff in das Ruhrtal eine gewisse Eleganz absprechen will. Brücken-Anwohner Peter Loef, selbst Ingenieur, bewundert „die schlanke und filigran gebaute Ruhrtalbrücke als eine Pionierleistung der Baukunst, die in der dunkelroten Abendsonne am schönsten wirkt“. Probleme mit Verkehrslärm hat der politisch bei den Mülheimer Grünen aktive Loef nur dann, wenn die Fahrbahn regennass ist und der Wind ungünstig weht. Ein niedrigeres Tempolimit auf der Brücke – erlaubt sind meist 120 km/h – fände er aber dennoch gut.
Rund 17 000 Kubikmeter Stahlbeton und 133 000 Tonnen Stahl wurden beim Bau verarbeitet, wegen des relativ instabilen Untergrunds mussten die Pfeiler bis zu 20 Meter tief verankert werden. Ursprünglich geplant waren nur 15 Meter. Der größte der 18 grau-weiß gestrichenen Pfeiler misst beeindruckende 126 Meter. „Ich war damals etwa zehn Jahre alt und habe die Arbeiten als ein riesiges Abenteuer erlebt“, erinnert sich Peter Loef. Für die beteiligten Arbeiter war es hingegen eine gefährliche Kraftanstrengung, die drei von ihnen mit dem Leben bezahlten.
Morbide Romantik
Nach ihrer Freigabe wurde die Brücke leider auch zu einem Ort des Selbstmords, was Experten auf die „Ästhetik der Konstruktion“ und den „schönen Blick in die Landschaft“ zurückführten. Von einer „unheilvollen Faszination“ sprach 1983 der „Spiegel“. Das Magazin warf die Frage auf, warum nicht ein höherer Zaun den Suizid-Kandidaten ihre Absicht erschwert. Einige Jahre später wurde dieser errichtet, und die Zahl der Selbstmörder sank tatsächlich.
Im Jahr 2004 war das Bauwerk dann Schauplatz einer völlig anderen Gewalttat, als Entführer in einem der inneren Hohlräume ein zwölfjähriges Mädchen gefangen hielten, von dessen Eltern Lösegeld erpresst werden sollte. Ein fast perfektes Versteck. Nur zufällig wurde die Geisel bei einer technischen Inspektion nach elf Tagen im zweiten Pfeiler von Süden gefunden.
Es gibt aber auch Schöneres über die Faszination Ruhrtalbrücke, etwa dies: Der berühmte Maler Gerhard Richter hat sie 1969 in einem fotorealistischen Gemälde verewigt. Mehr kann ein technisches Bauwerk wohl nicht erreichen.