Essen. Die Rekrutierung des politischen Personals muss raus aus den Hinterzimmern. Die Essener SPD könnte die Gelegenheit nutzen und mal etwas Neues wagen. Ein Kommentar.
Beim nächsten Mal werde er genauer hinschauen, wer als Bundestagskandidat für die SPD antreten dürfe, ließ Parteichef Thomas Kutschaty nun mehrfach wissen. Einen erlogenen Beruf, davon gehen wir hoffnungsvoll aus, wird es also so rasch nicht mehr geben. Nötig wäre aber mehr: Die Art der Rekrutierung des politischen Berufspersonals sollte generell auf den Prüfstand.
Der Fall Petra Hinz hat den Eindruck verfestigt, dass sich in Parteien nicht immer die besten Köpfe durchsetzen. Viel zu oft sind es diejenigen, die das Talent und vor allem die Zeit mitbringen für innerparteiliche Ränkespiele, für das „Bearbeiten“ von Parteifreunden, für Gremien-Präsenz bis zum Abwinken.
In jungen Jahren entspricht der ehrgeizige Aspirant gern dem Typus des „ewigen Studenten“, der parallel faktisch kommunaler Berufspolitiker wird, ein „Beruf“, den die Gemeindeordnung nicht kennt. Wer umtriebig ist und nicht allzu hohe Ansprüche hat, kann sich aber zumal in einer Großstadt mit Sitzungsgeldern und Aufsichtsratsvergütungen finanziell durchaus über Wasser halten.
Wenn alles gut geht, winkt dann irgendwann ein recht gut dotierter Referentenjob in Partei- oder Abgeordnetenbüros, der Geschäftsführerposten bei einer städtischen Tochter oder eben das lukrative Mandat wie bei Petra Hinz.
Überzeichnet? Von wegen. Allein in Essen gibt es Dutzende Beispiele für solche Karrieren. Und ausdrücklich ist das nicht nur ein Thema der SPD. Fast alle Parteien, längst auch die früher experimentierfreudigen Grünen, schwimmen am liebsten im eigenen Saft, setzen ganz auf die Prägungen des eigenen Milieus und auf die Ochsentour. Motto: Traue keinem, dem du nicht selber im Hinterzimmer die Ecken und Kanten abgeschliffen hast. Dass auf diese Weise oft glatte, viel zu abhängige, wenig mutige und manchmal gebrochene Charaktere in die Berufspolitik gelangen, verwundert nicht und ist mitunter sogar eiskalt gewollt.
Wer hingegen einen tagfüllenden, politikfernen Beruf hat, dazu noch familiäre Verpflichtungen erfüllen muss, hat kaum eine Chance, egal wie befähigt er (oder sie) sein mag. Dabei wären Parlamente und Räte gut beraten, wenn in ihnen mehr Lebenserfahrung abseits des politischen Betriebs und seiner Vorfeldorganisationen abgebildet würde.
Zugegeben: Die Erfahrungen mit Seiteneinsteigern waren nicht immer die besten. Aber das kann nicht heißen, schulterzuckend alles beim Alten zu belassen. Vielleicht nimmt sich die Essener SPD bei der Kandidatensuche für den Hinz-Wahlkreis den SPD-Kreisverband Bitburg-Prüm in der Eifel zum Vorbild. Der schaltete jüngst eine Anzeige: „Du möchtest Bundestagsabgeordnete/r werden? Die SPD sucht eine/n Kandidaten/Kandidatin für die Bundestagswahl 2017“, hieß es da. Selbst die Mitgliedschaft sei zunächst entbehrlich, es genüge vollauf „sich mit den Werten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu identifizieren“. Eine erstaunliche, mutige Initiative. „Wir wollten etwas Neues probieren“, wird der Kreisvorsitzende und örtliche Landtagsabgeordnete zitiert.
Bravo! Auch wenn niemand weiß, wie das Eifel-Experiment ausgeht: „Etwas Neues probieren“ – das würde der Essener SPD nach dem Hinz-Desaster ebenfalls sehr gut zu Gesicht stehen.