Essen. . Rockpalast-Erfinder Peter Rüchel hat die Grugahalle von 1977 bis 1986 zum Nabel der Musikszene gemacht. Konzerte in Essen wurden weltweit übertragen.
Wenn Rockpalast-Erfinder Peter Rüchel auf die A3 fährt und dann Richtung Essen abbiegt, dann überkommt ihn heute noch dieses Heimatgefühl. Zehn Jahre hat er diesen Weg regelmäßig genommen. Ein „Aufbruch in eine andere Welt“, sagt Rüchel bis heute. Von 1977 bis 1986 war der Schmetterlingsbau an der Norbertstraße die Top-Adresse für Topstars von Pete Townshend bis Van Morrison. Der Rockpalast hat damals die Fernsehgeschichte revolutioniert und Essen zum Nabel der internationalen Musikwelt gemacht. Am 23. Juli 1977, heute vor 39 Jahren, hat alles angefangen.
Zum Rockpalast-Rückblick ist Peter Rüchel – der inzwischen 79-jährige Grandseigneur der Rockmusik mit immer noch langem Silberhaar, damals frisch gekürter Leiter des WDR-Jugendprogramms – wieder von Leverkusen aus über die A3 nach Essen gekommen. Vor der Grugahalle dudelt diesmal Kettcar-Musik zum Karussell-Getöse der „Wilden Maus“. Und unwillkürlich wünscht man sich zurück in die Zeit, als Musik noch nicht das Ergebnis munterer Programmierungskünste war, sondern hand- und herzgemacht über die Bühne kam. Wie damals, als die bärtigen Gitarren-Zausel von ZZ Top bei ihrem ersten Europa-Auftritt an der Norbertstraße bis morgens um kurz vor sechs spielten und Punk-Ikone Patti Smith die Grugahallenbühne 1979 mit einem beherzten „Let me get on this fucking stage“ betrat.
„Tagesschau, Wetterkarte, Wort zum Sonntag, Rockpalast“
Warum gerade Essen? Peter Rüchel kann das leicht erklären. Der WDR wollte sein damals weltweit einmaliges Musiksendungs-Format natürlich im Senderland NRW ausstrahlen. „Köln war da zu nah, die Dortmunder Westfalenhalle war zu groß. In der Grugahalle stimmten Größe und Ambiente.“
„Tschörman Telewischen praudli presents“ verkündeten die Moderatoren Alan Bangs und Albrecht Metzger ab 1977 also zweimal pro Jahr im Fernsehen und parallel ARD-weit im Radio. Und zwar samstagabends zur besten Ausgehzeit. „Tagesschau, Wetterkarte, Wort zum Sonntag, Rockpalast.“ Genau so hatte sich Rüchel die Reihenfolge vorgestellt, als er seinen kühnen Plan den Programmverantwortlichen vorstellte. Und Rückendeckung für seine revolutionären Ideen bekam. „Es musste zu einer vernünftigen Zeit losgehen, live sein, mit drei Bands, kompletten Konzerten. Und über Eurovision.“
Sieben Länder schalteten gleich anfangs zu, später wurden es mehr. Für eine vorher noch recht unbekannte Funk-Rock-Band wie „Mother’s Finest“, aber auch für Bühnen-Großmeister wie Elvis Costello war das ein guter Grund, ins Ruhrgebiet zu reisen, lange bevor man seine Musik über Streaming-Dienste und Youtube-Videos unters Volk brachte. Mit einem einzigen Auftritt in Essen hatte man eine große Fangemeinde erreicht, ganz ohne Europatournee.
Was Stars wie Rory Gallagher oder Mink de Ville von Essen neben der Grugahalle mitbekamen, war das Ausflugsrestaurant Schwarze Lehne und das Hotel Bredeney. In der gediegene Herberge an der Frankenstraße lebten die Musiker oft tagelang zusammen, denn die meisten Band reisten früh an und hatten einen ganzen Tag (!) zum Proben. „Das waren paradiesische Bedingungen“, schwärmt Rüchel heute. Nur einmal wäre die ganze Truppe fast aus dem Hotel geflogen, „weil jemand versucht hatte, die Karpfen im Bassin des hauseigenen Restaurants betrunken zu machen“, erinnert sich Rüchel lächelnd. Auch in solchen Fällen war Oberbürgermeister Horst Katzor zur Stellen, der im übrigen wusste, was er seiner Stadt und den Künstlern schuldig war. Vor jeder Sendung lud er alle Beteiligten in die „Schwarze Lene“ überm Baldeneysee. Es gab Sekt und Schnittchen und eine kurze Ansprache. „Meine Herren, dort unten sehen Sie den Baldeneysee. Dort liegen noch viele Millionen Tonnen Kohle, die wir aber nicht heben werden“, zitiert Rüchel den Wortlaut.
Ansonsten blieben Essen und der Rockpalast auf freundlicher Distanz. An größere Groupie-Aufkommen kann sich Rüchel nur beim Besuch von „The Who“ erinnern, um deren Auftritt er in nächtlichen transatlantischen Telefonaten so intensiv gerungen hat wie um viele andere Musiker. Mit einem Scheck in Höhe der halben Gage ist er dann nach Amerika geflogen und hat die Verträge wasserdicht gemacht. „Es war eine andere Art von Fernsehen“, sagt Rüchel. Und denkt nicht nur an die Ausstattung, die Zeit, den fehlenden Quotendruck, sondern auch an die „anarchischen Momente“, die damals noch möglich waren. Dass ein trunkener Mitch Ryder mit einer Whisky-Flasche vor dem Konzert Fernseh-Interviews gab und der Sender trotz empörter Zuschauer-Post nicht forderte, die Sendung künftig doch lieber aufzuzeichnen, rechnet Rüchel seinem Arbeitgeber bis heute hoch an.
Irgendwann aber kamen Musiksender, Quotendruck und 1986 das Aus für die Übertragung aus Essen. Den „Rockpalast“ freilich gibt es bis heute. Und auch viele alte Kontakte haben gehaltene. Kürzlich hat Rüchel mal wieder ZZ Top-Mann Billy Gibbons interviewt. Manches davon wird man in der Rockpalast-Doku sehen, die der WDR zum 40. Jubiläum der legendären Konzertreihe 2017 plant. Ob es auch ein Rockpalast-Revival in der Grugahalle gibt, darüber wird noch verhandelt.
Große Namen und glorreiche Zeiten – von „The Police“ bis Bryan Adams
Die erste Rockpalast-Nacht im Juli 1977 bestreiten Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinns Thunderbyrd. Zur 3. Auflage im September 1978 reist unter anderem Peter Gabriel an. Im April 1980 machen Joan Armatrading und ZZ Top in der Grugahalle Station. 1983 kommen Bryan Adams und Elvis Costello. Im März 1985 wird ein Konzert von Prince live aus New York übertragen. Die letze, 17. Nacht bringt 1986 Big Country, Jackson Browne und BAP an die Norbertstaße.
Ein Highlight der Rockplast-Geschichte wird die Nacht vom 18./19. Oktober 1980 mit Graham Parker & The Rumour, Jack Bruce & Friends und „The Police“. Das Konzert wird erstmals auch von der BBC live übertragen. 8000 Menschen singen lauthals „So lonely“ mit Sting. Das „Wir-Gefühl“, das Rüchel für den Rockpalast reklamiert, ist gewaltig.
Spektakulär wird das Konzert im März 1981. Neben dem gefeierten Auftritt von „The Who“ sorgen „Grateful Dead“ für einen rekordverdächtigen Abend und spielen dreieinhalb Stunden. Die Mammutnacht geht in die Geschichte ein.