Essen.. Hinter der Facebook-Initiative junger Essener Muslime steckt die Vidam-Moschee, in der der Fundamentalist Yalcin Icyer das Sagen hat.
Der Sprengstoffanschlag auf den Sikh-Tempel im Essener Nordviertel, verübt von muslimischen Teenagern, wirft viele Fragen auf: Warum radikalisieren sich junge Muslime? Haben sie Hintermänner? Und gibt es in dieser Stadt mehr solcher tickenden Zeitbomben? Muslimische Netzwerke, die bisher eher unbemerkt agierten, werden neuerdings skeptisch beobachtet – so auch die „Islamische Jugend Essen“, eine Gruppe, die sich erst vor wenigen Monaten bei Facebook gegründet hat.
Islamische Jugend Essen – das klingt wichtigtuerisch. Denn wer sich so nennt, erhebt den Anspruch, für alle muslimischen Heranwachsenden zu sprechen. „Wir sprechen junge Muslime aus ganz Essen an“, sagt einer der Aktivisten. Sie laden ein zu Brüder- und Schwesterabenden, sie beten und diskutieren, sie grillen und schwimmen. Auf der Kettwiger Straße, direkt unterm Kaiser-Denkmal, schlagen sie regelmäßig ihr violettes Kampagnen-Zelt auf, ihren Veranstaltungsplakate sehen professionell gemacht aus.
Ein Mann mit einer zweifelhaften Vergangenheit
Das wirkt auf den ersten Blick harmlos, doch dann drängen sich Vergleiche mit den Koranverteilern auf, von denen man weiß, dass sie Gewalttäter für den Dschihad rekrutieren. Die Essenerin Simone Rezik, eine liberale Muslimin und Mutter, betrachtet solche Kampagnen mit Argwohn. „Mir graust es generell vor Islam-Propagandaständen in der Innenstadt. Wer sich ernsthaft informieren will, braucht so eine Bauernfängerei nicht.“
Derlei Unbehagen nimmt eher zu, wenn man sich die Adresse anschaut, unter der die „Islamische Jugend Essen“ firmiert. Sie lautet „Auf der Reihe 6“ und liegt mitten in einem alten Katernberger Arbeiterquartier unweit der Schachtanlage Zollverein 3/7/10, die nun das Phänomania Erfahrungsfeld beherbergt. Hier – Auf der Reihe 6 – ist auch die kleine Moschee des Islamvereins „Vidam“ zuhause, in der der umstrittene Imam Yalcin Icyer, Jahrgang 1953, das Sagen hat. Ein Mann mit einer zweifelhaften Vergangenheit: Der Deutschtürke gilt als Anhänger von Metin Kaplan, des Kalifen von Köln. 2006 stand der unter Terrorverdacht, weil er den mutmaßlich versuchten Anschlag auf das Nena-Konzert in Gelsenkirchen mitgeplant haben soll.
Und 2009 sorgte er bundesweit für Schlagzeilen, weil er sich für üble antisemitische Gebetstexte wegen Volksverhetzung vor Gericht zu verantworten hatte. Außerdem sagt man dem Katernberger Imam auch heute noch exzellente Kontakte zur Dschihad-Szene nach. Geistliche wie Yalcin Icyer werden im gleichen Atemzug genannt mit Hasan C, jenem Reisebüro-Inhaber aus Duisburg, der an der Radikalisierung der Tempelbomber Mohammed B. und Youssuf T. (beide 16) entscheidend mitgewirkt haben soll. Beim Freitagsgebet am 13. Mai stand Yalcin Icyer wieder predigend vor dutzenden Gläubigen.
„Jugendlichen radikalisieren sich nicht in unseren Moscheen, sondern im Internet“
Ein Mitglied des Vidam-Moscheevereins ärgert sich darüber, dass friedliebende Muslime ständig unter Generalverdacht gestellt würden. „Die Stimmung ist extrem schlecht“, sagt er und meint damit die „AfD-Hetze gegen den Islam“. In der Freitagspredigt verurteilen sie ausdrücklich den Anschlag auf den Sikh-Tempel, aber zugleich rücken sie sich selbst in die Opfer-Rolle, weil 90 Moscheen in Deutschland unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden stünden.
„Die Jugendlichen radikalisieren sich nicht in unseren Moscheen, sondern im Internet“, sagt das Vidam-Mitglied, um zugleich zu betonen, dass er den IS und Attentate im Namen Allahs ablehne. „Wir kämpfen dagegen an, weil der Islam das verbietet.“ Dass die Facebook-Seite der Islam-Jugend für den Salafistenprediger Pierre Vogel wirbt, findet er nicht dramatisch. „Ich glaube nicht, dass Pierre Vogel ein Radikaler ist“, meint das Vidam-Mitglied.