Essen. Nach dem Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen sind zwei Tatverdächtige teilweise geständig. Ein weiterer junge Mann wurde kurz nach seiner Festnahme wieder entlassen. Die mutmaßlichen Täter “haben klare Bezüge zur Terrorszene“, sagte Essens Polizeipräsident Frank Richter am Donnerstagnachmittag.
Fünf Tage nach der Sprengstoffexplosion im Essener Sikh-Tempel am Samstagabend fahndet die Essener Polizei weiter nach Tatverdächtigen. Nach der Öffentlichkeitsfahndung waren zahlreiche Hinweise bei den Ermittlern eingegangen, die zu zwei erst 16 Jahre alten Tatverdächtigen geführt haben, die die Polizei in der Nacht auf Donnerstag in Gelsenkirchen und Essen festgenommen hat. Die jungen Männer sollen Verbindungen in die salafistisch-dschihadistische Szene an Rhein und Ruhr haben: Essens Polizeipräsident Frank Richter spricht von "religiös eingefärbtem Terror der islamistischen Szene. Wir müssen von einem Terrorakt ausgehen."
Am Freitagvormittag teilte die Polizei gegen 10 Uhr mit, dass die Beamten in der Nacht zu Freitag zwei Kontaktpersonen der beiden 16-Jährigen kurzzeitig in Gewahrsam genommen haben. Man habe geprüft, "inwieweit von ihnen ebenfalls Gefahren ausgehen". Bei den Kontaktpersonen handelt es sich laut Polizei ebenfalls um Jugendliche. In sogenannten Gefährderansprachen habe man ihnen deutlich gemacht, dass sie im Fokus der Polizei stehen. Anschließend wurden die Kontaktpersonen wieder entlassen. Am Freitagmorgen war zunächst nur die Rede von einem jungen Mann der in Gewahrsam genommen wurde.
16-Jährige laut Polizei Mitglieder der salafistischen Szene
Bei einer Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigte Polizeipräsident Richter am Donnerstagnachmittag damit, dass der Sprengstoff-Anschlag auf die indische Hochzeitsfeier und den Sikh-Tempel nach aktuellem Stand der Ermittlungen ein Angriff islamistischer Fanatiker ist: Die 16-Jährigen "haben klare Bezüge zur Terrorszene". Ob es sich um den ersten Angriff des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Deutschland handelt, sei zurzeit unklar, so Richter. Keine näheren Erkenntnisse gebe es dazu, ob die beiden Teenager einer bestimmten islamistischen Gruppierung angehören.
Die Jugendlichen sind nach Angaben des Polizeipräsidenten "länger schon polizeibekannt". Einer der Verdächtigen habe sich freiwillig auf einer Polizeiwache in Gelsenkirchen gestellt, der andere sei Donnerstagnacht in seinem Elternhaus in Essen-Altendorf durch Spezialeinheiten festgenommen worden.
Die beiden 16-Jährigen hätten den Sprengstoffanschlag teilwiese eingeräumt, so Richter. Er rechnet mit weiteren Festnahmen: Die 70 Ermittler der Sonderkommission gehen noch weiteren Indizien nach. Bis zu den Festnahmen seien "weit über 100 Beamte rund um die Uhr mit den Ermittlungen und Fahndungsmaßnahmen beschäftigt" gewesen. "Wir werden aber weiterhin alles tun, um den Schutz der Sikh-Gemeinde in Essen zu gewährleisten. Unsere Arbeit endet nicht mit der Festnahme der beiden Tatverdächtigen. Es gibt noch zahlreiche Spuren, die ausgewertet werden müssen."
Der Leitende Oberstaatsanwalt Walther Müggenburg erklärte, dass die Jugendlichen noch am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden.
16-Jährige fuhren mit der U-Bahn zum Terroranschlag
Auch Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen besuchte die Pressekonferenz im Präsidium. Er ist fassungslos: "Mich besorgt, dass es zwei 16-Jährige sein sollen. Wie können die auf so eine schiefe Bahn kommen? Wie ist diese Radikalisierung erfolgt?" Gleichzeitig betont Kufen die gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Polizei: Die Tatverdächtigen fuhren mit der U-Bahn zum Sikh-Tempel - und wurden dabei von Kameras der Evag an der Haltestelle Bamlerstraße gefilmt.
Am Donnerstag vor der Pressekonferenz hatte das ARD-Politmagazin "Report München" online berichtet, einer der Festgenommenen, Yusuf T., sei der Polizei als Mitglied der salafistischen Szene an Rhein und Ruhr bekannt. Nach "Report München"-Informationen soll er sogar Verbindungen zur "Lohberger-Brigade" aus Dinslaken unterhalten haben. Das wollte Polizeipräsident Frank Richter am Donnerstag nicht bestätigen. Aus der dschihadistischen Gruppe aus Dinslaken-Lohberg waren mehr als zehn Personen nach Syrien ausgereist, um sich dem terroristischen Islamischen Staat anzuschließen (IS). Der nun festgenommene Yusuf T. soll sich laut "Report München" auch an "Lies!"-Ständen bei der Koranverteilung in hiesigen Fußgängerzonen engagiert haben.
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Auf seiner Facebook-Seite habe Yusuf T. einen Satz stehen, der einen Bezug zur IS-Propaganda habe, schreibt der "Report München"-Autor weiter: "Sei in dieser Welt wie ein Fremder oder Durchreisender". Auf seinen Facebook-Seiten soll der 16-Jährige demnach auch ein Propagandavideo des Berliner Ex-Rappers und IS-Terroristen Deso Dogg gepostet haben.
Priester der Sikh-Gemeinde schwer verletzt
Bei dem Anschlag am Samstagabend (16. April) war ein Sprengsatz am Eingang des Tempels der Sikh-Gemeinde "Gurdwara Nanaskar" an der Bersonstraße im Essener Nordviertel explodiert. Drei Menschen wurden verletzt, der 60-jährige Priester der Gemeinde trug schwere Blessuren davon. Gegen 19 Uhr hatte die heftige Explosion den Eingang des Gebetssaals erschüttert: Scheiben barsten, die Türkonstruktion wurde aus den Angeln gehoben, Teile der Schieferfassade wurden weggerissen.
Der Sikh-Tempel, einer von zweien im Ruhrgebiet, wird an Wochenenden von hunderten Angehörigen der Sikh-Religion zu Gebeten und als Gemeindezentrum genutzt. Noch am Samstagmittag hatte es hier eine indische Hochzeitszeremonie mit rund 200 Gästen gegeben. Als die Explosion erfolgte, waren allerdings nur noch wenige Gäste unten im Saal, während einige Kinder im Obergeschoss des Gebäudes am Musikunterricht teilnahmen. Die Tat löste ein weltweites Medienecho aus.
Bereits am späten Dienstagabend (19. April) hatten die Fahnder zwei Verdächtige vorläufig festgenommen. Der Verdacht gegen diese beiden jungen Männer bestätigte sich jedoch nicht.
Essener Sikh-Gemeinde erwartet 6000 Prozessions-Teilnehmer
Auch über die Ermittlungen hinaus schlägt der hinterhältige Terror-Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel, bei dem die Gäste einer Hochzeitsfeier nur knapp einem Blutbad entronnen sind, weiterhin hohe Wellen: Auch der deutsche Sikh-Verband meldete sich in den vergangenen Tagen mit einer Facebook-Botschaft zu Wort. Ein Sprecher bedankt sich darin bei der Polizei, beim Landeskriminalamt und bei Oberbürgermeister Thomas Kufen für die Unterstützung und Solidarität – und lud im gleichen Atemzug die Verantwortlichen des Anschlags zu der großen Sikh-Prozession am Samstag, 23. April, von der Bersonstraße zum Kennedyplatz ein. Das wiederum kam bei der Gemeinde in Essen nicht gut an. Man schaltete die Kriminalpolizei ein, die zweifelhafte Botschaft verschwand mit dem Hinweis: „Aus Kooperationsgründen mit der Polizei und vor allem, um deren Ermittlungen nicht zu behindern, wurde das Video auf deren Bitte vorerst aus der Chronik genommen.“
Dass die Essener Sikhs in diesem Zusammenhang eine Strafanzeige gegen Vertreter des Kölner Dachverbands gestellt haben sollen, konnte die Essener Polizei am Mittwoch nicht bestätigen. Wie auch immer: Der mediale Rummel nach dem Anschlag bleibt nicht ohne Wirkung, die Anteilnahme nach dem Anschlag ist hoch. Die Sikh-Gemeinde erwartet inzwischen 6000 Prozessions-Teilnehmer, die Polizei etwa die Hälfte. „Wir werden uns der Lage anpassen“, sagt Tanja Hagelüken: „Die Polizeikräfte werden aufgestockt.“ Zur Sicherheit. (j.m./lh/pw/woki)