Essen. . Radtour unter der Leitung von Synagogen-Leiter Uri Kaufmann stieß auf großes Echo. Erinnert wurde an jüdische Persönlichkeiten und vergessene Orte.

Beherzt in die Pedale treten und sich der Schönheiten am Wegesrand erfreuen – darin besteht wohl der Reiz der meisten (geführten) Radtouren. Nicht so bei der, die sich am Sonntagmorgen um kurz nach zehn an der Alten Synagoge in Bewegung setzt und vier Stunden lang „Auf jüdische Spuren“ begibt.

Uri Kaufmann, seit vier Jahren deren Leiter, hat diese ungewöhnliche Entdeckungsreise durch Essen zusammengestellt. Eine, die auf ein enormes Echo stößt. Mehrere Dutzend Essener sind zum Edmund-Körner-Platz gekommen. Ihnen wird Kaufmann nicht nur das zeigen, was mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust noch sichtbar ist. „Ich will die Menschen neugierig machen, auch auf das, was wir noch nicht wissen.“ Sich auf jüdische Spuren begeben, bedeutet von vornherein, sich auf beklemmende Weise zwischen zwei Extremen zu bewegen: hier die Blüte jüdischen Lebens in Essen und dort ihre barbarische Zerstörung. Ehe sich der Pulk in die Sättel schwingt, schwärmt Kaufmann von der Eleganz einer der „schönsten jüdischen Synagogen Deutschlands“, um im nächsten Atemzuge von verbrannten Thorarollen zu berichten und Sitzbänken, die die SA in der Pogromnacht 1938 aus den Fenstern warf. Dann deutet er auf die geschwärzte Fassade gegenüber und fügt an: „Das waren die Flammen der brennenden Synagoge.“ Jemand will wissen, wie sich die Feuerwehr verhalten habe. Die historische Wahrheit ist bestürzend: Ausgerechnet diejenigen, die im Brandfall löschen sollen, waren es. die den stümperhaften SA-Brandstiftern zeigten, wie sich kleine Flammen in einen Feuersturm verwandelten.

Kaufmanns Radtour handelt von zerstörten Friedhöfen und ehedem berühmten Geschäften, aber vor allem von den Menschen und Persönlichkeiten dahinter. Oft von fleißigen und patriotischen Juden, die sich als fester Bestandteil der Stadtgesellschaft verstanden. Von den Hirschlands und Samsons etwa, von den Levys, Blumenfelds und Wolffsohns. Letzterem, dem Kinopionier, gehörte die Lichtburg, die er 1933/34 auf Druck der Nazis verkaufen musste.

Exkursion mitinitiiert vom ADFC Essen

Die Exkursion ist mitinitiiert worden vom ADFC Essen, der die Fahrtroute auch ausgearbeitet. ADFC-Vorsitzender Jörg Brinkmann und drei weitere Aktive haben die Tour begleitet und abgesichert.

Auf der anderen Seite der Kettwiger beschäftigte Gustav Blum hinter der imposanten Bauhaus-Fassade 600 Angestellte, sein Textilgeschäft zählte zu den größten der Region. Auch hier wurde „arisiert“. Auf Loosen sollte viel später Peek & Cloppenburg folgen. Wer sich intensiver mit der Geschichte des Judentums in Essen befasst, dem mögen solche Zusammenhänge geläufig sein. Doch Uri Kaufmann stößt seine Gruppe immer wieder auf Unbekanntes. So auf den altesten jüdischen Friedhof auf der Lazarettstraße, der 1830 angelegt und 1941/42 auf Befehl der Stadtverwaltung eingeebnet wurde. Versteckt zwischen Sträuchern erinnert heute lediglich ein Gedenkstein an eine Phase der Stadtgeschichte, in der die jüdische Gemeinde – auch infolge der Industrialisierung – rasant anwuchs. „Kaum ein Essener kennt diesen Ort an der Lazarettstraße“, sagt Kaufmann, um sogleich auf sein Kernanliegen hinzuweisen. „Jüdische Geschichte in Essen ist Teil der Alltags- und Stadtgeschichte und nicht etwas Exotisches.“