Essen. Wie viele Flüchtlinge kommen 2016 nach Essen? Die Essener Planungen gründen noch auf einem Zustrom von einer Million bundesweit und scheuen die Korrektur.

Auf die barmherzige Liebe folgt die betriebswirtschaftliche Kalkulation: Wenn im Herbst die „Barmherzigen Schwestern von der heiligen Elisabeth“ ihr altes Kloster am Schuirweg 107 räumen, soll der idyllisch gelegene Komplex zu einer der größten Essener Flüchtlings-Unterkünfte umgebaut werden. 563 Personen finden hier ab 2017 Platz, der klammen Kommune ist das stattliche 942.000 Euro Miete im Jahr wert, schließlich stemmt der neue Eigentümer Peter Jänsch den Umbau.

Aber muss man sich – wie geplant – über 15 Jahre bis Ende 2032 vertraglich binden? Im städtischen Bauausschuss war man sich da am Donnerstag nicht so sicher. Die Entscheidung wurde – aller Eile beim Asyl zum Trotz – vertagt, die Stadt, heißt es, solle nachverhandeln.

640 statt 6.400 Flüchtlinge

Die Skepsis gegenüber einem 15 Jahre laufenden Pachtvertrag fürs Asyl in Schuir, sie rührt tiefer: Bis hinauf in die Spitzen der lokalen Politik und Verwaltung drängt sich in diesen Tagen die Frage auf, ob man denn die bisherige Grundannahme eines drastischen Flüchtlingszustroms so weiter aufrechterhalten kann, wenn sie einem abends in der Tagesschau Bilder leerer Auffanglager zeigen und melden: Die Balkanroute ist dicht.

Wie dicht? Und wie lange? Das wüssten sie im Rathaus selber gerne, denn die Kalkulation von 6400 Asyl-Neuankömmlingen in Essen anno 2015 legt eine Million neuer Flüchtlinge bundesweit zugrunde. Bleibt es aber bei den zuletzt gezählten allenfalls 250 einreisenden Flüchtlingen pro Tag in Deutschland, läge man in Essen am Ende bei einem Zehntel der alten Werte: 640 Neue statt 6400.

Das würde jene Luft bringen, die nicht nur diese Stadt so dringend braucht, aber „noch trauen wir dem Braten nicht“, sagt einer aus der Verwaltungsspitze und wirbt dafür, die Vorbereitungen auf alter Grundlage voranzutreiben. Denn es ist ja auch so: Essen hat aus 2015 noch „Altschulden“ in Sachen Aufnahme, muss deshalb noch 2400 Flüchtlinge beherbergen, die man im vergangenen Jahr mangels Kapazitäten nicht unterbrachte. Zudem will man so schnell wie möglich die sündhaft teuren Zelte loswerden: Anfang Mai werden dort 4000 Menschen wohnen, für die braucht es feste Unterkünfte.

Asylbewerber vom Balkan zurückgeben

Doch mit jeder Woche allenfalls tröpfelnder Zuwanderungs-Zahlen fällt die Frage drängender aus: Kann man so wie vorgesehen den Bau neuer Asylheime für über 100 Millionen Euro in Auftrag geben, wenn die Belegung immer unsicherer wird?

„Wir suchen nach Lösungen“, heißt es. Vorerst wären alle Beteiligten schon froh, wenn sich wenigstens die Nutzung von mehr als ein Dutzend Turnhallen und die ins Auge gefassten Interimslager wie etwa auf dem Gelände des Verkehrsübungsplatzes in Frillendorf vermeiden lassen.

Am 31. März will Oberbürgermeister Thomas Kufen dann die Lage mit der für die Flüchtlings-Unterbringung zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg erörtern. Womöglich kommt dabei auch zur Sprache, dass tausende Plätze in Landeseinrichtungen unbelegt sind.

Die Stadt würde dorthin gerne die Asylbewerber vom Westbalkan zurückgeben, zumal deren Aussichten auf eine Anerkennung nahe null sind. Rund 1300 Plätze könnten auf diese Weise frei werden, für syrische Bürgerkriegs-Flüchtlinge zum Beispiel.

Die aufzunehmen ist für viele immer noch ein Gebot der Barmherzigkeit. Und erst in zweiter Linie der Betriebswirtschaft.