Rüttenscheid. .

Wer meint, Rüttenscheid hätte sich erst in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren zu dem Ausgehviertel Essens entwickelt, der täuscht sich. Schon immer gab es szenige Kneipen entlang der Rü; aber natürlich nicht in der Fülle wie heute. Die etwas älteren Rüttenscheider erinnern sich gerne an das Haus Dörner, das Alexander, an Cillis Milljöh oder die Goldene Stadt. Während die oben genannten längst der Vergangenheit angehören, haben ein paar Kneipen überlebt und gelten heute als Rüttenscheider Klassiker, die auch das junge, hippe Publikum für sich entdeckt. Auf einem abendlichen Rundgang haben wir vier von ihnen heimgesucht.

Die Eule

Freitagabend, kurz vor 19 Uhr: Langsam füllt sich die Theke, füllen sich die Tische in der rustikal eingerichteten Eule an der Klarastraße. Gutbürgerlich gibt sich die 1958 von Gerd Fabritz gegründete Kneipe, die bis 1981 am Wehmenkamp 1 zu finden war. Besonders Karnevalisten (die Eule ist das Stammquartier der Rüttenscheider Jecken) und Sportbegeisterte treffen sich hier regelmäßig: Auch heute Abend wird auf drei Bildschirmen gleichzeitig ein Spiel der Zweiten Liga gezeigt, allerdings ohne Ton. Dafür schmachtet Al Martinos „Spanish Eyes“ aus den Boxen.

„Wir hatten sogar mal eine eigene Thekenmannschaft, den FC Eule 58“, erzählt Wirt Simon Heidenreich. Heidenreich - Schwiegersohn von Gerd Fabritz - und seine Ehefrau Janine haben die Eule und das dazugehörige Hotel Fabritz vor zehn Jahren übernommen, ohne das traditionsreiche Lokal groß zu verändern. Beide sind gelernte Gastronomen, legen Wert auf eine saisonal wechselnde Speisekarte. Noch wichtiger ist das Bier: Gleich fünf Sorten gibt es frisch vom Fass. „Wir haben zu 80 Prozent Stammgäste, denen stelle ich die Getränke auf den Tresen, ohne fragen zu müssen“, erklärt Kellnerin Sabine, warum sie wie all ihre anderen Kollegen der Eule schon seit vielen Jahren die Treue hält. Anschluss findet man hier tatsächlich ohne große Mühen: Wer am Tresen steht, kommt schnell ins Gespräch.

Gasthaus Zum Brenner

Es brummt im Gasthaus Zum Brenner an der Hedwigstraße: Um kurz nach acht gibt es bereits keine Sitzplätze mehr, an der mittig gelegenen Theke stehen die Gäste schon in Zweierreihen. Altersmäßig gemischt wirkt das durchweg schicke Publikum. Pausenlos balancieren die Kellner gut gefüllte Teller ins hintere Esszimmer, während im vorderen Schankraum das Bier ununterbrochen in die Gläser zischt. „So sieht das am Wochenende immer bei uns aus“, freut sich der junge Wirt Daniel Bischoff, der gemeinsam mit seinem Bruder Alexander das Kneipenrestaurant 2010 von seinen Eltern übernommen hat und kulinarisch für frischen Wind sorgt. Innenarchitektonisch haben die beiden Brüder dagegen alles getan, um den besonderen Charme des Brenners zu konservieren. Denn das Haus blickt auf eine lange Gaststätten-Tradition zurück: Die erste Schank­erlaubnis erhielt Anton Brenner im Jahr 1906. Der alte Eichenfußboden, den der Namensgeber damals verlegte, ist heute noch genauso erhalten wie die Eichenbalken. 1978 übernahmen die Bischoffs die Traditionskneipe, nachdem sie zuvor in Werden das Kastell geführt hatten. Das große Sterben der „Vatter“-Kneipen, der Trend zu stilvollen Lounges und extravaganter Küche sowie das Rauchverbot – all das konnte und kann dem Brenner nichts anhaben.

Die Kronenstuben

Ganz anders sieht es am Abend in den Kronenstuben auf der Rüttenscheider Straße aus, eine schlichte Kneipe, die im selben Jahr wie die Eule gegründet wurde. Zehn, zwölf vorwiegend ältere Gäste haben sich in dem kleinen nikotinverfärbten Gastraum eingefunden, sitzen bei Bier und Korn an der Kieferntheke und träumen von einer Zeit, als das Rauchen in öffentlichen Räumen noch erlaubt war. „Das Rauchverbot hat mir fast das Genick gebrochen“, klagt Wirt Achim Kobsch: „Wir sind halt eine reine Trink- und Raucherkneipe gewesen.“ Kobsch nahm den aussichtslosen Kampf auf, ließ die Ascher stehen und seine Gäste quarzen und kassierte dafür manche Bußgeldbescheide. Er versuchte den Widerstand auch mit privaten Helmut-Partys – ohne Erfolg. „Mal sehen, wie es weitergeht“, sagt er ein wenig resigniert und erzählt davon, dass ihm seine Stammgäste langsam wegsterben. Derweil ist Gisela Schmidt eingetroffen, hat ihren Rollator am Eingang geparkt und schon das erste Pils in der Hand. Die 84-Jährige kommt gerne in die Kronenstuben, auch wenn die einst zur Konkurrenz gehörten. Denn mehr als 26 Jahre hat die Gastronomin den Fuchsbau geführt, auch so ein Klassiker der Rüttenscheider Kneipenszene. Der hat allerdings nicht überlebt. „Heute ist da eine Bäckerei drin“, erzählt die rüstige Ex-Wirtin.

Die Ampütte

Von den Kronenstuben bis zur Ampütte sind es nur ein paar Minuten. Doch trennen die beiden Kneipen Welten. Scheinbar unbeeindruckt von allen Modetrends und Rauchverboten hat die „Mutter aller Kneipen“ ihren Kultstatus bewahrt – und das seit 115 Jahren. In den Zwanziger Jahren traf sich hier die Halbwelt, später die ganze Szene, vom Taxifahrer bis zum Richter, vom Studenten bis zum Professor, vom Hartz IV-Empfänger bis zum Jungunternehmer. Bis heute ist die Ampütte für diese Mischung, diese gelassene Stimmung, die man auch in englischen Pubs findet, berühmt. Und für ihr Interieur, dass sich seit gefühlt 50 Jahren nicht großartig verändert hat.

Auch heute Abend ist die Ampütte gut besucht: Links am Tisch knobeln junge Hipster mit langen Bärten, einen Tisch weiter schaut sich ein älteres Paar lange und tief in die Augen, während am Tresen hochpolitisch diskutiert wird. Mittendrin: Wirtmutter Ingrid Ampütte, die seit über 50 Jahren Bier zapft und ihren Sohn Patrick tatkräftig unterstützt. Der führt die von Urgroßvater Heinrich gegründete Ampütte inzwischen in vierter Generation. Das Erfolgskonzept hat er nicht verändert, nur erweitert: Mit ihm zog regelmäßige Livemusik in die Kneipe ein.