Essen. Vor über 100 Jahren hat Udo Schildes Urgroßmutter den Grundstein für das Tabakwarengeschäft an der Kastanienallee gelegt. Das Ende einer Ära naht.

Wenn mein Vater sich etwas ganz Besonderes gönnen wollte, dann ging er zu Pfeifen Schilde und kaufte eine edle Zigarre. „Die wurde von einer schönen Kubanerin handgerollt“, erzählte er uns staunenden Kindern, während er mit den Ritualen begann, die zum Rauchen einer Zigarre gehörten: Vor dem Anzünden wurde sie ausgiebig beschnuppert, angeleckt und schließlich angeschnitten, dann hüllte sich mein Vater in wohlriechenden Rauch und war in den nächsten Stunden für den Rest der Familie nicht mehr ansprechbar.

Mein Vater weilt schon knapp vier Jahrzehnte nicht mehr unter uns, doch Pfeifen Schilde an der Kastanienallee ist immer noch der Essener Spezialhandel für besondere Tabakwaren. „Wir verkaufen Genuss“, nennt Inhaber Udo Schilde den Slogan des seit über 100 Jahren bestehenden Geschäftes.

Familienarchiv von Weltkriegsbombe zerstört

Von den Anti-Raucher-Kampagnen der vergangenen zwei Jahrzehnte fühlt sich der Geschäftsmann, der wie der Prototyp eines Pfeifenrauchers wirkt, nicht angesprochen: „Bei uns geht es nicht um Suchtbefriedigung, sondern um die Pflege einer alten Kultur.“ Tatsächlich gibt es in dem mit edlem Holz ausgebauten Laden ausschließlich Pfeifen, Pfeifentabak, Zigarren, Zigarillos und entsprechendes Zubehör. „Zigaretten führen wir nur noch ein paar wenige Sorten für unsere Stammkunden.“

Pfeifen Schilde in den 1960er-Jahren: Damals war das Geschäft kleiner, gab es nebenan noch eine Wettannahme.
Pfeifen Schilde in den 1960er-Jahren: Damals war das Geschäft kleiner, gab es nebenan noch eine Wettannahme.

Angefangen hat alles vor mehr als 100 Jahren auf der Stoppenberger Straße. Dort führten Udo Schildes Urgroßeltern einen Kolonialwarenhandel, später übernahmen die Großeltern Mathilde und Fritz Schilde und zogen in die Kastanienallee, wo sie weiterhin Kolonial- und Tabakwaren verkauften. „Das muss irgendwann vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein“, sagt der 68-Jährige. Das genaue Datum ist unbekannt, denn das gesamte Familienarchiv ist einem Bombentreffer zum Opfer gefallen. „Alle Dokumente, alle Fotos sind verbrannt und unser Haus war bis auf die Grundmauern zerstört“, so Schilde.

"Feste Institution" im Laden - trotz hohen Alters

Er selbst ist in der Trümmerlandschaft der nördlichen Innenstadt groß geworden, hat als Kind in der Baugrube des Parkhauses an der Rottstraße gespielt und ist an den Wochenenden zu Fuß in die Hafenstraße zu den Rot-Weißen gepilgert. Mit 16 fand er sich plötzlich als kaufmännischer Lehrling in der Firma Schilde wieder, „und zwar ohne dass mich mein Vater nur ein einziges Mal gefragt hätte. Selbst wenn, hätte ich keine Wahl gehabt. Das nannte man autoritäre Erziehung.“

Seit seinem 16. Lebensjahr arbeitet Udo Schilde im Familienunternehmen. Mit dem passionierten Pfeifenraucher begann die Spezialisierung des Geschäftes.
Seit seinem 16. Lebensjahr arbeitet Udo Schilde im Familienunternehmen. Mit dem passionierten Pfeifenraucher begann die Spezialisierung des Geschäftes. © Jörg Schimmel

Mit ihm, dem passionierten Pfeifenraucher, zog die Spezialisierung ins Geschäft, das bis dato nur Schilde hieß. Pfeifen sind bis heute sein Metier, dafür ist das Fachgeschäft über die Stadtgrenzen bekannt. Nur selten verirrt sich Laufkundschaft in die nördliche Innenstadt, Pfeifen Schilde lebt überwiegend von Stammkunden, die seit Jahrzehnten kommen und von Udo Schilde mit Handschlag und Namen begrüßt werden. Für sie hält er, tatkräftig unterstützt von seiner Frau Brigitte, die sich auf Zigarren spezialisiert hat, den Laden noch zweieinhalb Tage in der Woche offen – obwohl er rein rechnerisch längst die Pensionierungsgrenze erreicht hätte. Da hält er es wie sein vor drei Jahren verstorbener Vater Fritz: Auch der hat bis ins hohe Alter „wie eine feste Institution“ im Geschäft gesessen.

Kein Nachfolger

Pfeifen Schilde ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Über 90 Prozent der Kunden kommen regelmäßig in die Kastanienallee im Essener Stadtkern.
Pfeifen Schilde ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Über 90 Prozent der Kunden kommen regelmäßig in die Kastanienallee im Essener Stadtkern.

Ginge es nach Udo Schilde, dann wird auch er solange die Ladentür aufschließen, wie es ihm möglich ist und Spaß macht. „Was sollen wir zuhause? Wir haben tolle Kunden und hier spielen sich all unsere sozialen Kontakte ab“, ergänzt seine Frau. So trifft sich jeden Samstag eine feste Runde zum Pfeifenstammtisch: „Wir rauchen und schwätzen und genießen das Zusammensein unter Gleichgesinnten.“

Wenn es dann doch soweit ist und Udo Schilde sich aus dem Essener Geschäftsleben verabschiedet, wird mit ihm eine Ära zu Ende gehen. „Ich bin der Letzte. Einen Nachfolger gibt es nicht“, sagt er und man hört deutlich die Trauer in seiner Stimme.