Essen. Der Ratsbeschluss über die 16 festen Flüchtlings-Standorte nimmt den Essener Süden eindeutig mit in die Verantwortung. Ein Kommentar.
Die Suche nach einem Kompromiss zu den Asylstandorten in der Stadt war schwierig, aber unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit der Mühe wert. Zwar ist die massive Kritik im Essener Norden nicht verstummt, aber doch leiser geworden. Zu Recht. Die Fläche am Rhein-Herne-Kanal, die für die Marina vorgesehen ist, wird beispielsweise ganz verschont. Ursprünglich sollten hier einmal 800 Flüchtlinge leben. Der Protest der Nord-SPD, der bundesweit Druck aufbaute, hat sich also zunächst gelohnt.
Zwar gibt es immer noch Menschen, die fragen, warum nicht Flüchtlinge nach Bredeney kommen. Eine derart enge Stadtteilbetrachtung ist jedoch oft irreführend. In Schuir etwa, in Sichtweite der Bredeneyer Villenviertel, leben bald um die 800 Asylbewerber, und zwar an der Wallneyer Straße und im ehemaligen Kloster am Schuirweg. Da kann man nicht von Wegducken reden. Nein, der im Rat gefasste Beschluss über die 16 festen Wohnstandorte eignet sich nicht für die üblichen Nord-Süd-Geplänkel, die manchmal auch ziemlich klischeehaft sein können. Jedenfalls ist der Süden in diesem Fall mit im Boot bei den sozialen und städtebaulichen Lasten der Integration.
Natürlich, das gilt nur für den Moment. Denn am Ende weiß niemand, wie lange die nun ausgewiesenen Flächen reichen. Klar ist: Wenn es unverändert oder nur wenig reduziert weitergeht mit dem Flüchtlingszustrom ist auch dieser Kompromiss nur eine Zwischenetappe. Dann werden schnell weitere Standorte benötigt. Wo die dann genau liegen, ist zurzeit offen – ganz sicher aber auch im Essener Norden.
Und: Immer dann, wenn Asylbewerber Wohnungen beziehen, werden diese oft da sein, wo die Mieten niedriger und die Leerstände höher sind: im Norden. Das dürfte auch für die 2000 Wohnungen gelten, die die Stadt in den nächsten zwei Jahren gemeinsam mit dem Allbau an Flüchtlinge vermitteln will. Finanziell ist dieses Programm gewiss zu begrüßen. Die Integration, die im Alltag gelebt werden muss und die im Alltag gelingt oder misslingt, bleibt so aber langfristig ein Thema, das in erster Linie zwischen Karnap und der Innenstadt, zwischen Frintrop und Kray stattfindet. Alles andere ist Augenwischerei.
Vor diesem Hintergrund verwundert etwas, dass Oberbürgermeister Thomas Kufen in seiner jüngsten Videobotschaft auf der Webseite der Stadt zwar den Ratsbeschluss und die Willkommenskultur rühmt, aber die Grenzen der Belastbarkeit in Essen nicht einmal andeutet. Nachdem er kurz nach Amtsantritt durchaus auch mal skeptische Töne zeigte, war diese Rede ein einziges „Wir schaffen das“.
Ob dies volkspädagogische Gründe hat, ob gegenüber dem Merkel/Laschet-Flügel der CDU politische Dankesschulden abzutragen sind, oder ob Kufen wirklich an seine Worte glaubt, ist zweitrangig. Entscheidend ist: Die Grenzen der Belastung gibt es, und ein Stadtoberhaupt wäre gut beraten, sie zu benennen.