Essen. Die bundesweit beachtete Integrationskritik der Nord-Ortsvereine hat auch die Krise der SPD Essen gnadenlos offengelegt. Gekämpft wird mit harten Bandagen.

Der mediale Wirbel um die drei SPD-Ortsvereine im Essener Norden - er reißt nicht ab. Überregionale Zeitungen, der „Spiegel“, private und öffentlich-rechtliche Sender gaben sich die Klinke in die Hand, zuletzt war „Report Mainz“ am Karnaper Markt. Wieder konnten Guido Reil und Stephan Duda von der SPD Karnap und Jürgen Garnitz von der Altenessener SPD am Dienstag vor einem ARD-Millionenpublikum darlegen, warum sie besorgt sind über zu viel Zuwanderung und warum sie sogar eine - dann abgesagte - Protestdemo organisieren wollten. Längst gilt Essen als bundesweites Paradebeispiel dafür, dass es in der SPD zwischen Führung und Teilen der Parteibasis riesige Differenzen gibt.

Dass dies innerhalb der Essener SPD nicht nur für Freude sorgt, ist klar. „Es gärt in der Partei“, weiß ein Beteiligter, der ungenannt bleiben will. Vor der Mittwochabend anberaumten Aussprache zwischen den Spitzen von Partei und Fraktion mit den Demo-Initiatoren sorgte eine Resolution für zusätzlichen Zündstoff, die der Vorsitzende des Ortsvereins Huttrop/Südostviertel, Andreas Wiemers, verfasst hat. Er ist hauptberuflich Mitarbeiter der SPD-Fraktion im NRW-Landtag und gilt als Vertrauter von Parteichefin Britta Altenkamp. Mahnende Überschrift: „Genossen, das geht so nicht!“

Resolution belegt die Zerrissenheit der Partei

Neben Huttrop gehen auch die Vorsitzenden der Ortsvereine in Burgaltendorf, Holsterhausen, Kray, Mitte, Rüttenscheid, Steele, Überruhr und Werden/Bredeney sowie die Sprecher einiger SPD-Arbeitsgemeinschaften auf Distanz zu den Parteifreunden im Norden. „Wir kritisieren, dass sich die SPD-Gliederungen rechtsextremer Wörter und Symbolik bedienen und fordern die Genossen in Altenessen, Karnap und Vogelheim auf, sensibler mit der aktuellen Flüchtlings- und Unterbringungsdiskussion umzugehen“, heißt es.

Aufschlussreich ist allerdings auch, wer nicht dabei ist: Es fehlen sowohl alle Ortsvereine aus dem Essener Norden wie auch der komplette Borbecker Raum, und selbst im Süden ist die Kritik nicht einhellig: Kupferdreh oder Kettwig sind nicht dabei. Eine Abfrage der Redaktion ergab, dass einige Ortsvereinsvorsitzende nichts von dem Schreiben wussten. Wieder andere, wie Matthias Blackert, Vorsitzender der SPD Stoppenberg, lehnten rundheraus ab, sich der Kritik anzuschließen. „Angesprochen worden bin ich.“

Auch Blackert findet zwar falsch, dass die SPD in Altenessen, Karnap und Vogelheim den Protest auf die Straße tragen wollte. Ihre Sorgen aber teilt er sehr wohl und steht damit offensichtlich nicht alleine. So ist die Resolution aus Huttrop auch Beleg dafür, wie innerlich zerrissen die Partei in der Flüchtlingsfrage ist – und dass eben keineswegs jeder findet, dass die „Nord-Rebellen“ abgemahnt gehören.

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Im Hintergrund schwingt dabei Unzufriedenheit mit Parteichefin Altenkamp mit, die als Konfliktmanagerin mindestens umstritten ist. Unvergessen ist in der SPD ihre tragende Rolle bei der innerparteilichen Demontage des früheren OB Reinhard Paß wie auch ihr gescheiterter Versuch, eine Ersatzkandidatin aufzubauen. Nachdem SPD-Ratsherr Guido Reil der WAZ jenes mittlerweile recht berühmte integrationskritische Interview gab, wollte sich Altenkamp im Namen der Essener SPD von dem Karnaper öffentlich distanzieren, wurde aber von anderen Mitgliedern des SPD-Vorstands zurückgepfiffen. In der schließlich veröffentlichten Pressemitteilung mussten Altenkamp und Ratsfraktionschef Rainer Marschan ihre Grundsatzkritik an Reil als „Privatmeinung“ deklarieren.

Auf die Bremse getreten haben soll dabei neben dem angesehenen Sozialpolitiker und Ratsherrn Karlheinz Endruschat aus Altenessen auch die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz. Ihr werden Ambitionen nachgesagt, Altenkamp als Essener Parteichefin zu beerben.

Nun hat der Reil-Konflikt Altenkamps Ansehen zwar sicherlich nicht vergrößert. Ob die Luft aber wirklich dünn wird für die Landtagsabgeordnete, darüber gehen die Meinungen auseinander. Tatsache ist: Außer von der Basis – also von unten –, droht Altenkamp auch Druck von oben. Denn die Landes-SPD wird nicht gerne sehen, dass es mal wieder der Unterbezirk Essen ist, der im Streit zu versinken droht.

Kritik an Landtags-Profis: Weder Bodenhaftung noch Bürgernähe

Auffallend: In den Reihen der Ortsvereine, die die Protestnote gegen Reil und Co. unterzeichneten, spielen Genossen eine wichtige Rolle, die hauptberuflich im Landtag arbeiten: Ratsherr Frank Müller (SPD Kray), Mitarbeiter im Landtagsbüro von Justizminister Thomas Kutschaty; Daniel Behmenburg (SPD Werden), Mitarbeiter von Landtagsabgeordneter Peter Weckmann; Ratsfrau Julia Jankovic (SPD Holsterhausen), Referentin der SPD-Landtagsfraktion; und eben Andreas Wiemers (SPD Huttrop), ebenfalls Referent. Alle Genannten haben sich in internen Sitzungen und im sozialen Netzwerk Facebook äußerst kritisch, teilweise rüde mit den Nord-Genossen auseinandergesetzt. Im SPD-Vorstand ließen Juso-Vertreter jüngst gar gönnerhaft verlauten, sie würden den Integrationskritikern gern mal „Bildungsangebote“ unterbreiten.

Die so für dumm Verkauften schlagen im internen Machtkampf zurück, attestieren den eher linken und zumeist im Juso-Alter befindlichen Polit-Profis schlicht zu wenig Bodenhaftung und Bürgernähe. „Die haben doch keine Ahnung, wie es bei uns an der Basis aussieht, und sind von Britta wirtschaftlich abhängig“, spottet ein Nord-Genosse.

Klingt nicht danach, als würden bei der SPD Essen so schnell gemütliche Zeiten anbrechen.