Essen. Die SPD könnte stolz sein auf Basispolitiker, die reale Probleme beschreiben. Die SPD-Führungen aber gehen mit ihnen um, als wären sie unselbstständige Mündel. Ein Kommentar.

Wann hat es das zuletzt gegeben, dass SPD-Ortsvereine republikweit ein solches Beben auslösten. Und das nur, indem sie simple Grundrechte für sich reklamierten und Probleme beschrieben, die wahrhaft real sind. Klar, die Einladung der Karnaper, Altenessen und Vogelheimer SPD zu einer Demonstration zur Verteilung von Flüchtlingen und zur drohenden Überforderung ihrer Stadtteile war sprachlich unbeholfen formuliert. Sie lud ein zu Missverständnissen besonders bei denjenigen, die gerne absichtlich missverstehen. Das kann passieren, wenn Menschen in die Tasten hauen, deren Beruf die Sprache nicht ist.

Dem Grundgesetz ist die Präzision der Sprache übrigens egal, solange es nicht um Strafbares geht. Das Demonstrationsrecht wie auch das Recht, sich öffentlich etwa in Medieninterviews zu äußern, gilt für jeden und bedarf keiner Erlaubnis durch die politischen oder sonstigen Eliten. Das klingt nicht nur selbstverständlich, das ist es auch. Aber nach den Essener Ereignissen der letzten Tage und Wochen muss man es wohl betonen.

SPD könnte stolz sein auf Basispolitiker mit eigenem Kopf

Eigentlich könnte die SPD stolz sein auf Basispolitiker, die auf Grundlage guter Ortskenntnisse ihren eigenen Kopf haben und damit republikweit nicht wenige Bürger beeindruckten. Viele potentielle Wähler sagten sogar, sie hätten mit der Sozialdemokratie nichts (mehr) am Hut, seien durch diese Initiative aber positiv überrascht. Die SPD-Führungen in Land und Stadt sehen das anders. Ihnen ist es peinlich, wenn namenlose Ortsvereinsvorsitzende sagen, was ihnen überlebenswichtig erscheint. Zwischen den Zeilen hörte man heraus, dass Guido Reil, Stephan Duda und Co. einfach für ein bisschen dumm gehalten werden. Dumm ist aber eher, wer mit bürgernahen Parteimitgliedern umgeht, als wären sie unselbstständige Mündel.

Es war trotzdem richtig von den rebellischen Nord-Sozis, die Demo abzusagen. Wer zu diesem Thema demonstrieren will, wird immer Beifall und Beteiligung von der falschen Seite erhalten. Radikale Kräfte entziehen mit dieser Strategie den Demokraten faktisch ein Stück Meinungsfreiheit – ein schwer lösbares Dilemma. Die Atmosphäre des Herumdrucksens, die der Nord-SPD so bitter aufstieß, des Herunterspielens von Problemen, hat hier ihre Ursache.

Durch die Absage und das folgende überregionale Medieninteresse war dem eigentlichen Anliegen aber ohnehin erheblich mehr gedient. Die Sorgen und Nöte einer Stadt wie Essen, die im Norden schon jetzt unter allenfalls mäßig gelungener Integration leidet, wurden mit einem Schlag deutlich. Die Nord-SPD hat einen nicht geringen Teil dazu beigetragen, ein klares Signal nach Berlin zu senden: So geht es nicht mehr weiter!

Laschets überflüssiges Polit-Geplänkel

In der Essener CDU wurde dies umgehend als Majestätsbeleidigung geahndet. Der CDU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer schwang auf widerwärtige Art und Weise die moralische Keule. Die SPD möge sich „schämen“ dafür, dass sie „literweise Öl ins Feuer“ gekippt habe. Armin Laschet, der Vorsitzende der NRW-CDU, versuchte die Nord-SPD mit den Worten „Hetze - SPD Essen“ in die rechte Ecke zu stellen. Es ist der selbe Laschet, der einige Tage später den Landtag verließ, als die Landes-SPD wiederum ihn in die rechte Ecke stellte. Polit-Geplänkel der überflüssigsten Art, das niemandem hilft und kein einziges Problem löst.

Und Matthias Hauer? Die Bundeskanzlerin hat vor einigen Tagen eine „Arbeitsgruppe“ zur Integration gegründet. Das kommt sehr spät. Vielleicht kann der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete, der sich im sozialen Netzwerk Facebook seines Zugangs zur Kanzlerin rühmt, sie ja ein wenig zur Eile anhalten, gerne auch so, dass wir das mitbekommen. Hauer soll erst einmal selbst den Mut aufbringen, den jemand wie Guido Reil hatte. Dann sehen wir weiter.