Essen. Niemand braucht eine „Bürgerwehr“. Aber gebraucht wird auch keine Hexenjagd, wie sie gegen das Unperfekthaus und Reinhard Wiesemann entfesselt wurde.

Sprache ist wichtig, das gilt in diesen aufgeheizten Zeiten noch mehr als sonst. Wer eine „Bürgerwehr“ gründen will, setzt mit diesem Wort automatisch Bilder in die Köpfe, die problematisch sind, um es vorsichtig zu sagen.

Es ist zwar in Ordnung, wenn Menschen ihr Unsicherheitsgefühl auch durch eigenes Engagement dämpfen wollen, und das Aufpassen auf sich und andere ist nicht nur erlaubt, sondern schon wegen der explodierenden Einbruchskriminalität geradezu geboten. Entscheidend dabei: Das Gewaltmonopol der Polizei muss jederzeit und ohne Ausnahme respektiert werden.

Mindestens einige derjenigen, die in Essen eine „Bürgerwehr“ gründen wollten, boten aber Hinweise, dass sie genau mit diesem Grundsatz Probleme haben könnten. Völlig zu recht hätten die Behörden das Recht und die Pflicht, solche Zeitgenossen im Auge zu behalten und notfalls in die Schranken zu weisen – mit den Mitteln des Rechtsstaates.

Das ist das eine. Aber Hysterie gibt es nicht nur bei verhinderten „Bürgerwehr“-Gründern, sondern eben auch auf der Gegenseite. Man kann Reinhard Wiesemann, den Gründer und Inhaber des Unperfekthauses, mit einigem Recht Naivität, eine eher unpolitische Grundhaltung und auch ein allzu sonniges Menschenbild vorwerfen. Ich bin sehr oft ganz anderer Meinung als er und finde auch: Nicht mit jedem lassen sich noch „gesittete Gespräche“ führen, wie Wiesemann sie im Auge hatte, als er den Wehr-Leuten einen Raum zugestand. Ihn aber mit Boykott-Drohungen und hysterischen Verwünschungen zu überziehen, weil er in seinem Kreativzentrum nicht bei jedem Besucher eine lückenlose politische Gesinnungsprüfung abhielt, ist eine Anmaßung sondergleichen.

Gegen Extremismus gleich welcher Couleur zu kämpfen, ist ja richtig. Aber wer im beleidigenden Ton und im Stil eines Polit-Kommissars nun schon die Wiesemanns in die Ecke der Unanständigen und Unberührbaren bugsiert, ist drauf und dran, sich selbst aus dem demokratischen Spektrum zu verabschieden und kocht sein eigenes Süppchen: Es geht um Macht und Debattenhoheit mit den Mitteln der Hexenjagd und der Denunzierung, und um sonst gar nichts. Hier ist derselbe Geist der Bevormundung am Werk, der über politisch unwillkommene Phänomene Schweigegebote verhängen will und den wir nach den Silvester-Vorfällen in Köln so krachend scheitern sahen.

Wiesemann hält dem seinen fast altmodisch anmutenden Glauben an eine Freiheit entgegen, die Konsens noch da sucht, wo dieser tatsächlich nur noch schwer herzustellen ist. Aber das ist immer noch besser, als die unerträgliche Arroganz der Selbstgerechten, die mittlerweile so viele Debatten vergiften.