Essen. . Bei der Eröffnung 1958 wurde das Hauptbad gefeiert. Später ließ man es verkommen, baute es so um, dass es keinen Denkmalschutz erhielt. Ein Rückblick.
Es war ein großer Tag, als das Hauptbad vor 58 Jahren öffnete: Nicht bloß ein Bad werde hier den Essenern geschenkt, sondern „das schönste Bad des Reviers, des Rheinlandes, Deutschlands, ja Europas“, wie der damalige Leiter der WAZ-Lokalredaktion, Karl Sabel schrieb. Über drei Seiten erstreckte sich sein schwärmerischer Bericht, mit dem er am 4. Juli 1958 Bad und Bauwerk feierte.
Als heiter, grazil, farbenreich beschreibt er die Atmosphäre des Bades: „Die Wände tragen ein weiches Ocker-Braungelb, eine Farbe warm wie Sonnenlicht.“ Und da ist Sabel erst im Foyer, lässt sich Zeit mit der Beschreibung von Treppenhaus, Umkleide, Brause, baut einen Spannungsbogen auf, bis: „Endlich tut sich die Tür zur Halle auf. Wohin sollen wir zuerst sehen. Vielleicht zieht uns das Licht an, das von draußen einfällt. Eine mehr als hundert Meter lange, nach innen gebogene Wand von Glas! Auf ihr, wie auf der überdimensionalen Cinemascope-Wand eines Filmtheaters, erscheint die Landschaft von Essen... gleich hinter der Glaswand dehnt sich junger Rasen der Liegewiese mit Kieswegen...“
Glasfassade mit einem Einbau verunziert
Man braucht Fantasie, um sich diesen Eindruck heute vorzustellen: Längst ist die geschwungene Glasfassade mit einem Einbau verunziert worden und von außen zugewuchert. Das Bild ganz rechts auf dieser Seite aber veranschaulicht, welchen städtebaulichen Akzent das Bauwerk damals setzte.
Die Architekturhistorikerin Ute Reuschenberg bestätigt, dass nicht Lokalpatriotismus bei Sabel die Feder führte. „Alle Überblicks-Publikationen aus der Zeit würdigen diese herausragende Bauaufgabe mit der Gartenöffnung ins Grüne. Die ist heute so vermurkst, dass dort die filigrane Architektur nicht mehr erkennbar ist.“ Damals habe man auch die Front zur Steeler Straße städtebaulich mustergültig gelöst: „In dem sensiblen Bereich mit der Alten Synagoge tritt der Badbau zurück.“ Schließlich beeindrucke die Grundrisslösung mit den verschiedenen Ebenen für die Becken.
Früher bis 20.30 Uhr geöffnet
Bis heute hat die Schwimmhalle nichts von ihrer so zeitlosen wie weitläufigen Schönheit eingebüßt. Man mag über die einst moderne und nun marode Technik mäkeln oder die bröckelnde Decke beklagen – dem Ensemble mit den drei im Bogen angeordneten Becken konnten die Jahre nichts anhaben. Dass trotzdem viele Essener dieses spektakuläre Bad nicht kennen, liegt an einer Stadt, die es erst verkommen ließ und dann dem Schul- und Vereinssport vorbehielt. Während sich in den großen Anfangszeiten hunderte Essener bis 20.30 Uhr in dem Bad tummelten, war es zuletzt nur noch montags bis freitags von 6.30 bis 10 Uhr geöffnet.
Eine Lobby, die sich wirkungsvoll für den Erhalt des Hauptbades eingesetzt hätte, konnte sich so wohl nicht bilden. Anders als in Krefeld, wo 1967 ein Bad nach dem Essener Vorbild entstanden war. Dort sorgte ein Bürgerentscheid für den Erhalt des Bauwerks, das bis zum Jahr 2003 für 7,2 Millionen Euro saniert und überdies unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Sanierungsbedarf von 16 Millionen Euro
In Essen ermittelte man am Ende einen Sanierungsbedarf von sogar 16 Millionen Euro und stellte dem kühl die Baukosten von 10 Millionen Euro für das Bad am Thurmfeld gegenüber. Dabei wurde das von Peter Friedrich Schneider entworfene Hauptbad in einer 1994 erschienenen Schrift zum „Bestand qualitätvoller Bauten aus den 1950er Jahren“ als eines der bedeutendsten Beispiele des Bäderbaus der Nachkriegszeit bezeichnet. Ein Gütesiegel, das die Stadtpolitik schnöde missachtete, als sie 2008 das Aus für das Bad beschloss.
Der Kunsthistoriker Johannes von Geymüller und seine Mitstreiter vom Arbeitskreis 2030 machten spät einen Rettungsversuch für das Bad: Als „Zeugnis exzellenter Baukultur“ verdiene es den Denkmalschutz. Das Rheinische Amt für Denkmalpflege prüfte und lehnte diesen Ende 2012 schweren Herzens ab: Die Vielzahl baulicher Änderungen habe das ursprüngliche Erscheinungsbild zu sehr verändert. Dagegen glaubt Ute Reuschenberg, die in der Kölner Denkmalpflege gearbeitet hat und über P. F. Schneider promoviert, man hätte das Foyer entrümpeln und vieles zurückbauen können. Die Entscheidung sei wohl auch politisch motiviert, weil der Neubau am Thurmfeld längst beschlossen war. An der traditionsreichen Stelle des im Krieg zerstörten ersten Hauptbades von 1882 habe sich Essen 1958 „ein Stück Qualitätsarchitektur“ geleistet: „Nun stirbt ein Stück Stadtgeschichte.“
Architekt Peter Friedrich Schneider beschenkte seine Heimatstadt mit dem Hauptbad
Als „Mann aus der zweiten Reihe“ beschreibt Ute Reuschenberg den Architekten Peter Friedrich Schneider, der auch das Essener Hauptbad entwarf. Die Architektur-Historikerin arbeitet an einer Promotion über Schneider, der 1901 als Sohn eines Werkmeisters in Essen geboren wurde und in Rüttenscheid aufwuchs.
Nach der Maurerlehre bei Krupp und dem Studium an der staatlichen Baugewerkschule, studierte er 1925 bei Peter Behrens in Wien. Ihm zu Ehren legte er sich erst den Vornamen Peter zu. Sein zweiter Mentor wurde Edmund Körner (1874-1940), der u.a. mit der Alten Synagoge das Essener Stadtbild prägte. Als Mitarbeiter Körners war Schneider 1926 bis 1929 am Bau des Folkwang-Museums beteiligt.
Vertreter eines „menschlichen“ Bauens
Während des Nationalsozialismus machte Schneider eine Karriere als Industrie-Architekt, vor allem für die Kölner Ford-Werke. Als „unabkömmlich“ wurde er vom Kriegsdienst befreit. Schneider, der 1937 in die NSDAP eingetreten war, wurde nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft und konnte seine Karriere in seiner Wahlheimat Köln fast nahtlos fortsetzen. Für den „entscheidenden Durchbruch“ habe der Bau des Funkhauses für den NWDR 1948 gesorgt. Das Bauwerk am Walraffplatz habe seine „überregionale Reputation begründet“, so Reuschenberg.
In seiner Heimatstadt Essen baute Schneider, der sich einer moderaten Moderne verpflichtet fühlte, ab 1952 auch das Verlagsgebäude der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung sowie die Wohnhäuser der WAZ-Gründer Erich Brost und Jakob Funke in Bredeney. Renommee verschaffte ihm dann der Bau des 1958 eingeweihten Hauptbades, das die zeitgenössische Presse zu den „europaweit modernsten Bauwerken“ zählte.
Als Vertreter eines „menschlichen“ Bauens habe Schneider sich ganz auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet und „einen dogmatischen Funktionalismus“ abgelehnt. Der 1981 verstorbene Architekt sei zeitweilig in Vergessenheit geraten und später von Denkmalpflegern wiederentdeckt worden, die seinen Beitrag etwa beim Wiederaufbau Kölns und der Region würdigten.
Von Milchbar bis Kohlenkeller – Erinnerungen an das Hauptbad
Unsere Leser erzählen, wie sie im und mit dem Bad aufwuchsen, warum sie es vermissen werden – oder wieso sie einen Abriss für überfällig halten:
Zerstörung des Bades. Das Hauptbad wurde Ende 2015 zum zweiten Mal geschlossen. In das erste Bad von 1882 wurden trotz schwerer Zeiten stets die nötigen Unterhaltssummen investiert. Nach 60 Jahren erfolgte die ungewollte Schließung durch einen britischen Piloten, der eine Bombe ins Bad fallen ließ. Das zweite, 1958 eröffnete Hauptbad, wird ebenfalls nach gut 60 Jahren geschlossen, obwohl diesmal keine Bombe fiel. Vernichtet wird es nicht von fremden Flugzeugpiloten, sondern von heimischen Rathauspiloten. Hans-Richard Sliwka, Trondheim, Norwegen (gebürtiger Essener)
Milchbar. Anfang der 1960er Jahre gingen wir dort mit einer Jugendgruppe schwimmen, auch mein Mann – damals noch mein Freund. Er ist ein leidenschaftlicher Nichtschwimmer und hat die Zeit dann in der Milchbar verbracht und ein Bier – natürlich aus dem Silberbecher – getrunken: Er hatte seinen Spaß und wir beim Schwimmen auch. Die Freundschaften von damals bestehen teilweise heute noch! Anke Stutz (Jg.1939), Essen
Wehmu t. Vor 35 Jahren hatte ich Schwimmunterricht im Hauptbad, Jahre später begleitete ich meine Tochter zu ihren Wettkämpfen. Wehmütig habe ich die letzten drei Tage zum Abschwimmen genutzt und die Großzügigkeit des Bades auf mich wirken lassen. Sowas wird es in Essen nicht mehr geben! Ein großes Lob ans Bad-Team, das mit viel Leidenschaft dabei war. Aus dem Aus fürs Hauptbad sollten Politik und Verwaltung lernen: 1. Dem Grugabad darf nicht als Folge mangelnder Investitionen das gleiche Schicksal widerfahren, 2. Am Thurmfeld muss man Öffnungszeiten für Normalbürger auch am Wochenende anbieten. Marcus Kalbe, Essen
Kindheit im Bad. Mit vier Jahren war ich erstmals im Hauptbad, um in einen Verein zu schwimmen, ich habe da meine Schwimmabzeichen erworben, Wettkämpfe bestritten, Medaillen erkämpft. Durchs Schwimmen habe ich viele Freunde gefunden, mit denen ich im Hauptbad groß geworden bin. Mit 18 trainiere ich nun selbst kleine Kinder. Zwar ist das Hauptbad zuletzt heruntergekommen, trotzdem hatte es einen eigenen Charme, und wir Essener waren stolz auf dieses große Bad. Schwimmer aus anderen Städten schwärmten, wie toll es ist mit zwei 25m-Becken und der riesigen Tribüne. Man hätte es sanieren sollen, statt ein neues, kleines Bad zu bauen, in dem wohl keine Deutschen Kurzbahnmeisterschaften mehr stattfinden können. Julia Gurowski (18), Essen
Sahneschnitte. Mein Vater sowie zwei Brüder waren 1960 im Bäderamt beschäftigt. Mein Vater als Heizer im Hauptbad (Koksbefeuerung). Die Badezeiten waren genau vorgeschrieben, je nach Eintrittskarte so 45 Minuten. Als Sohn des Heizers durfte ich mich im Heizungsraum umziehen und durch eine Verbindungstür vom Treppenhaus in den Brauseraum gehen, so dass ich mehrere Stunden schwimmen konnte. Mit unserer Clique trafen wir uns später in der Milchbar. Das Bad war eine Sahneschnitte. Horst Hellwig (70), Essen
Relikt von gestern. Mein Vater hat über 40 Jahre im Bäderamt als Installateur gearbeitet. Ich genoss dadurch freien Eintritt in sämtliche Essener Schwimmbäder. Meinen Freischwimmer absolvierte ich bereits mit sieben Jahren im Krayer Hallenbad, das mir sehr gut gefiel. 1976 wechselte mein Vater ins Hauptbad. Eingezwängt zwischen andere Gebäude lag es vor einem Innenhof, in den kaum ein Lichtstrahl drang. Werkstatt und Maschinenräume hatten keinerlei Tageslicht. Es gab endlose dunkle Gänge. Verglichen mit dem Krayer Bad wirkte alles abstoßend auf mich. Eines Tages zeigte mir mein Vater den Tiefkeller, eine schwarze Katakombe, die noch unterhalb der eigentlichen „Unterwelt“ des Bades lag: der alte Maschinenraum aus dem Jahr 1882, in dem mit gigantischen schwarzen Öfen das Badewasser noch über Kohlenfeuerung erwärmt wurde. Das Hauptbad wirkte schon vor 40 Jahren altmodisch auf mich. Der Abriss war überfällig. Stefan Rogal (50), Essen
Erhaltenswert. 1958 zogen wir von Essen-West (Friedrichsbad-Mief der Vorkriegsbade-Kultur) nach Südost-Stadtmitte. Dann der erste Besuch des Hauptbades, ein ungläubiges Staunen von mir, damals 13 Jahre alt: drei Becken, Sprungturm, riesige Fensterfront, Balkoncafé, Tribüne. Danach direkt Anmeldung beim Schwimmverein Essen 06. Ich machte mein Frei- und Fahrtenschwimmzeugnis, Übungen zum DLRG-Grundschein, Mutsprung vom 7,5 m-Turm. Oft durften wir dem Training von Weltklasseschwimmern beiwohnen. Manchmal große Feten, dritter Platz beim Nikolausschwimmen – eine herrliche Zeit. Später den eigenen Kindern Sonntag morgens schwimmen beigebracht. Dann der Abschied vom Hauptbad und Trauer wegen der Schließung. Rolf-Peter Kleinjohann (70), Essen
Hübscher Schwimmlehrer. Als ich noch jung war, ging ich mit der Klasse zum Schwimmen ins Hauptbad. Die katholische Volksschule Margarethenhöhe hatte einen hübschen, jungen Sportlehrer, von dem ich damals nicht wusste, welche Berühmtheit er war: Fritz Herkenrath [RWE- und Nationaltorhüter]. Er hat mein Freischwimmer-Zeugnis unterschrieben! Rosemarie Freimuth, Essen
Schwerer Abschied. Etwa 1965 hatte ich das erste mal mit Mutter und Oma das Hauptbad besucht. Von Zeit zu Zeit ging es nach dem Schwimmen in die Milchbar: ein besonderes Erlebnis, alles von oben bei einem Milchshake zu betrachten. So nahm ich gern den 6 km Fußweg zum Bad in Kauf, um mir für 50 Pfennig eine Karte für eine Stunde zu kaufen. Die Angestellten achteten streng darauf, dass die Badezeit nicht überschritten wurde. Wer ertappt wurde, musste nachlösen. Vier Generationen meiner Familie haben mit dem Bad gelebt, die fünfte Generation hat nicht die Chance. Hauptbad, du wirst eine große Lücke hinterlassen.Thomas Umbehaue, Essen