Essen. In Albanien lebte Familie Aliaj in einem einzigen Zimmer, in Essen haben sie eine hübsche Wohnung gefunden – und Freunde, die beim Einleben helfen.

Das Paradies liegt in Borbeck und ist 108 Quadratmeter groß: Vor einem Jahr ist Drita Aliaj (44) hier mit ihren vier Kindern eingezogen – in Albanien teilten sie alle einen Raum von zwölf Quadratmetern. Dass die drei Zimmer in Essen zu einem Zuhause wurden, verdanken sie auch ihren Vermietern. Die kümmerten sich mit viel Einsatz um die albanische Familie, spannten dafür ihren Freundeskreis ein.

In Albanien lebten die Aliajs im Dorf Porto Romano, wortwörtlich einen Steinwurf vom Meer entfernt. Aber an den Strand oder auch nur auf die Straße gingen sie fast nie. Drita Aliaj hat neben Tochter Irena (24) und Sohn Denis (11) zwei körperlich wie geistig behinderte Kinder: Rajmonda (18) und Florin (23). „Behinderte gehen bei uns nicht ‘raus“, erzählt die älteste Tochter Irena. Ihr Großvater väterlicherseits habe streng über die Haus- und Schicksalsgemeinschaft gewacht, zu der auch die Großeltern mütterlicherseits und die Familie des Onkels zählten.

Die Enge sei in ihrem Dorf so normal gewesen wie die Gewalt des Vaters. Als der vor acht Jahren verschwand und seine Frau mit einem blind geschlagenen Auge zurückließ, bedeutete das eher eine Erleichterung. Nur war für Irena nun nach acht Jahren der Schulbesuch beendet; seither spielte sich ihr Leben zwischen Haushalt und Nutzgarten ab. Sie brachte sich mit dem Fernsehen Italienisch bei, traf heimlich ihren Freund Pllump.

Und sie bewahrte sich ihre Träume, ihren Willen. Als sie hörte, dass es in Deutschland die Chance auf ein besseres Leben gebe, beschloss sie, diese zu ergreifen – obwohl die Mutter wenig von der Idee hielt. Ein Cousin half ihr, Bus- und Fährtickets zu besorgen, Pllump gab ihr Geld. Die Reise dauerte 48 Stunden „und war eine Katastrophe“, sagt Irena heute, vor allem für ihre schwerstbehinderten Geschwister.

Erschöpft erreichten sie am 5. August 2013 Dortmund, steuerten auf ein Taxi zu, sagten „Asylverfahren“. Der Fahrer brachte sie in die Erstaufnahme und gab ihnen viel zu viel Wechselgeld zurück. Es war eine erste Willkommensgeste, doch es folgten viel Bürokratie und viel Angst. In den Flüchtlingsheimen im Sauerland und in Essen verließ sie nie die Sorge, am nächsten Tag abgeschoben zu werden.

Einen Tag vor Heiligabend zogensie in ihr neues Zuhause

Es ist der schwierigen Situation für Florin und Rajmonda zu verdanken, dass sie im Oktober 2014 ein (inzwischen verlängertes) vorläufiges Aufenthaltsrecht bekamen und sich eine Wohnung suchen durften. Hier kommt Ursula Henkys ins Spiel, die damals die Eigentumswohnung ihrer verstorbenen Schwiegermutter an Flüchtlinge vermieten wollte. Sie verlor fast die Geduld, bis man ihr endlich Familie Aliaj vermittelte. „Und wir haben uns auf Anhieb verstanden.“

Am 23. Dezember 2014 zogen sie ein, „und schon an Heiligabend nahmen Freunde von uns die Familie mit in den Gottesdienst“, erzählt Ursula Henkys, die als Diplom-Pädagogin früher Flüchtlingsarbeit geleistet hat. Nun macht das – ehrenamtlich – ihr ganzer Freundeskreis: „Wir haben eine Whats-app-Gruppe, so finden sich immer Helfer.“ Für alles, was das Diakoniewerk nicht schaffen kann. Die einen kümmerten sich darum, dass Florin einen Platz in der Behindertenwerkstatt erhält, die anderen um den Schulbesuch von Rajmonda – beide hatten in Albanien nie eine Förderung bekommen. Denis geht jetzt zur Gesamtschule, und Mutter Drita sieht nach einer Augen-Operation wieder viel besser. Vor allem kehrte ihr Lebensmut zurück: „Ich würde auch im Zelt leben, wenn ich nur bleiben darf.“ Ihr Weihnachtswunsch: Deutsch lernen – der Kurs beginnt im Februar.

Ihre Tochter Irena hat schon einige Monate einen Kurs besucht; dass sie so gut Deutsch spreche, sei aber Ursula Henkys samt Familie und Freunden zu verdanken: „Wir haben immer Kontakt.“ Nun will Irena den Hauptschulabschluss und eine Ausbildung machen. Ihr Mann Pllump Kolpreci, der inzwischen auch in Essen lebt, darf ab März 2016 arbeiten. Kürzlich sind sie in eine eigene Wohnung gezogen, im November wurden sie Eltern – und Ursula Henkys ist stolze Patentante des kleinen Agim. Einen Wunsch hat auch sie noch: „Es gibt viele Leute, die Flüchtlingen helfen wollen, sich hier einzuleben und selbstständig zu werden. Es wäre schön, wenn die Stadt das vermittelte – es hat ja nicht jeder auch eine Wohnung zu vermieten.“