Essen. Gute Nachbarschaft und störende Müllecken: 6500 Essener wurden zu ihrem Wohnumfeld befragt. Nun legt das Max-Planck-Institut die Antworten vor.

Das Wohnumfeld ist für die Lebenszufriedenheit der Bürger von erheblicher Bedeutung. So beschreibt es der Soziologe Dietrich Oberwittler, der am Max-Planck-Institut forscht und in Essen nun zum zweiten Mal eine Befragung zu dem Aspekt „Zusammenleben und Sicherheit“ durchführt. Die Ergebnisse der ersten Studie von 2014 liegen jetzt aktuell vor.

Eine Kernaussage ist, dass sich die Befragten zu Hause in ihrem Wohngebiet wohl fühlen. Das trifft bei den unter 45-Jährigen auf immerhin 85 Prozent zu, bei den über 75-Jährigen auf beinahe alle (95 Prozent). Doch im Alter wächst die Unsicherheit, so dass sich viele in der Dunkelheit nicht mehr wohl fühlen. Damit steigt ihre Vorsicht im Verhalten, so dass sie die Wohnung nicht gern verlassen. Hierbei stelle die Wahrnehmung der körperlichen Verletzlichkeit einen entscheidenden Faktor, schränkt der Soziologe ein. Massiven Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf das Klima im Viertel hat soziale Benachteiligung. Wo diese groß ist, dort sei das Risiko spürbar höher, Opfer von Straftaten zu werden.

Vandalismus fällt auf

Zur Nachbarschaft im Wohnquartier jedoch gibt es unabhängig von sozialen Unterschieden und vom Alter eine große Verbundenheit, hat die Befragung ergeben. Gleichwohl ist in Essen die Ablehnung der Migranten höher als in Köln, wo der Forscher die gleichen Fragen gestellt hat. Bei dem Projekt gab es etwa Fragen zur Verbundenheit mit dem Stadtteil, sozialem Klima oder Problemen im Wohngebiet, aber auch zur Furcht vor Kriminalität, Verkehr und Freizeitverhalten. All das beeinflusst das Verhalten der Bürger in ihrem Wohnumfeld und prägt so das Bild der Stadtteile. Das subjektive Sicherheitsgefühl ist neben objektiven Kriminalitätszahlen ein wichtiger Indikator dafür wie wohl sich die Menschen fühlen. Wer sich unsicher fühlt, neigt zu Rückzugsverhalten und nimmt nicht mehr am sozialen Leben teil. Dieses Verhalten bestimmt auch das Klima in den Wohnquartieren, erklärt Oberwittler. Auch Phänomene, die nicht zwangsläufig Straftaten sind, wirken sich auf Atmosphäre und Sicherheitsgefühl im Wohngebiet aus. So beobachtet etwa die Hälfte der Befragten „Störungen“ wie herumliegenden Müll sowie beschädigte Briefkästen, Papierkörbe, Spielplatzgeräte (37 %) oder herumstehende Jugendliche (34 %).

Die Befragungen und die Autoren

Die erste Befragung des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht lief im Frühjahr 2014. Sie ist Bestandteil des Forschungsprojektes „Sicherheit älterer Menschen im Wohnquartier“. Derzeit wird diese Umfrage wiederholt, erneut auf dem Postweg. Die Auswertung erfolgt anonym.

Autoren: Dietrich Oberwittler, Soziologe und Forscher in der Abteilung Kriminologie des Max-Planck-Instituts; Privatdozent für Soziologie an der Uni Freiburg. Dominik Gerstner, Soziologe, Forscher am Max-Planck-Institut.

Eine wichtige Erkenntnis gab es bei diesen Störungen: Während Müll und Vandalismus besonders häufig auffallen, werden weggeworfene Spritzen oder Kondome als besonders störend empfunden. Als Lösung wählt ein Drittel der Befragten das Gespräch mit Nachbarn, andere mit den Verursachern oder deren Eltern (27 %), während sich 22 Prozent an die Polizei wenden. Insgesamt reagieren die unter 60-Jährigen toleranter, mit dem Alter schwindet diese Toleranz, hat Oberwittler festgestellt. Der Soziologe hat in Essen 6500 Bewohner angeschrieben, die per Zufall ausgewählt wurden. Die zwei Gruppen der Befragten (25- bis 59-Jährigen und 60- bis 89-Jährigen) waren gleich groß. Geantwortet haben 2425 Essener, deren Fragebögen verwertbar waren – darunter besonders viele 50- bis 75-Jährige. Oberwittler: „Die Ergebnisse können als repräsentativ für die Bürger zwischen 25 und 89 Jahren in Essen gelten.“

Einzelheiten aus dem Ergebnisbericht 

Erfahrungen der Opfer unter den Befragten

Mehr als die Hälfte der Befragten ist Opfer von Eigentumsdelikten geworden (knapp 54 Prozent). Die meisten sind bestohlen worden (24,2 %), bei zehn Prozent wurde versucht in die Wohnung einzubrechen. Jeder vierte der Befragten hat Gewalt erlebt, die meisten sind in den vergangenen zwei Jahren angepöbelt oder bedroht worden (23,8 %). Zwei Ergebnisse brachte dieser Aspekt der Befragung: Je älter die Befragten waren, desto weniger Opfererfahrung hatten sie. Frauen werden grundsätzlich seltener Opfer, vor allem bei Gewaltdelikten.

Furcht vor Kriminalität am Tag und in der Nacht

Tagsüber fühlen sich die meisten in ihrem Wohngebiet sicher, nachts trifft das auf ein Drittel nicht mehr zu. Am höchsten ist die Unsicherheit in der Nacht bei älteren Frauen. Männer hingegen fühlen sich tagsüber in ihrer Wohnung etwas unsicherer als Frauen. Ein Drittel der Befragten fürchtet Wohnungseinbrüche, fast jeder vierte einen Überfall, darunter vor allem junge Frauen. Fast genauso viele fürchten, Opfer einer Attacke von Fremden oder Betrugs zu werden. Im Alter nimmt die Furcht vor Wohnungseinbrüchen ab, vor Überfall und Raub wächst sie.

Schutzverhalten auf der Straße und zu Hause

Die Teilnehmer wurden befragt wie sie sich in den vergangenen zwölf Monaten vor Kriminalität geschützt haben. Sehr oft genannt wurde das Meiden bestimmter Orte: Im Dunkeln begeben sich 46 Prozent nicht mehr auf bestimmte Straßen oder Plätze im Wohnumfeld. Jüngere nehmen eher z.B. Pfefferspray zu ihrem Schutz mit: Rund ein Drittel Frauen unter 35 Jahren trägt Gegenstände bei sich, um sich vor Angriffen zu schützen. Knapp die Hälfte der Befragten schützt die Wohnung mit technischen Sicherungen gegen Einbrecher.

Sicherheit im Straßenverkehr

Ein Drittel aller Befragten und 40 Prozent der älteren Befragten in Essen verzichten nach Einbruch der Dunkelheit auf öffentliche Verkehrsmittel. Frauen ab 75 Jahren nehmen den Straßenverkehr als besonders unsicher wahr. Bei Männern ist diese Unsicherheit deutlich weniger ausgeprägt, so dass es vor allem Frauen sind, die mit zunehmendem Alter auf private und öffentliche Verkehrsmittel verzichten. Insgesamt nutzen Frauen bereits in jüngeren Jahren seltener Verkehrsmittel als Männer.

Einstellung zur Polizei und ihrer Arbeit

Die Polizei genießt sehr großes Vertrauen, gaben die meisten Befragten an. Fast 20 Prozent der unter 45-jährigen Männer sagt auch, dass die Polizei die Bürger nicht fair behandelt, so dass das Vertrauen nicht in allen Altersgruppen uneingeschränkt ist. Kritik gibt es an der Bekämpfung der Kriminalität: Die Hälfte aller Altersgruppen schätzt diese als eher nicht erfolgreich ein. Besonders kritisch waren diejenigen, die bereits mehrfach Opfer geworden sind.

Skepsis gegenüber Migranten

Eine Mehrheit gab an, Migranten gegenüber eher negativ eingestellt zu sein. Im Alter wird die Einstellung negativer. Immerhin 58 Prozent sagen, dass Menschen anderer Länder und Kulturen Essen bereichern. 75 Prozent glauben, dass Zuwanderung zu mehr Kriminalität führe. Über die Hälfte (63 %) sehen zwischen einheimischen Deutschen und Zuwanderern eine gute Nachbarschaft, 20 Prozent häufige Konflikte. 61 Prozent glauben, dass Bürger Wohngebiete mit überwiegend deutschen Bewohnern bevorzugen.

Soziale Kontakte und Freundeskreis

Ältere Befragte haben einen größeren Freundeskreis und häufiger soziale Kontakte im privaten Bereich. Mit zunehmenden Alter befindet sich der Freundeskreis im Wohnumfeld: bei über 75-Jährigen sind es 60 %, bei unter 45-Jährigen gut 30 %. Rund 90 % der Befragten haben jemanden, der im Notfall im Haushalt helfen würde; bei Frauen liegt der Anteil stets etwas höher.

Das Internet ist die beliebteste Freizeitaktivität

Wer seine Lebenssituation als positiv empfindet, der ist aktiv. Daher bot die Freizeitgestaltung viele Fragen. Besonders häufig wurden Aktivitäten wie Surfen im Internet und Sport abgefragt. 80 Prozent der unter 60-Jährigen sind ein oder mehrmals wöchentlich im Internet unterwegs, 63 Prozent dieser Altersgruppe treibt ebenso oft Sport.

Beim Besuch einer Kneipe oder eines Restaurants gaben hingegen selbst bei den Jüngeren lediglich 40 Prozent an, dieses mindestens einmal pro Monat zu tun, bei den unter 60-Jährigen gehen nur 15 Prozent einmal die Woche aus. Ein Drittel der über 75-Jährigen tut das nie, 15 Prozent besuchen einmal in der Woche den Gottesdienst.

Altersunabhängig hingegen sind Hobbys in einer Gruppe wie Chor, Kegeln oder Kartenspielen, sie liegen in jedem Alter bei einem Fünftel der Befragten. Ebenso kümmern sich gut zehn Prozent der Befragten regelmäßig um hilfsbedürftige Nachbarn. Doch 72 Prozent der über 75-Jährigen üben kein Ehrenamt aus. Weniger beliebt waren zudem Kurse oder Vorträge (z.B. VHS), diese werden von rund fünf Prozent regelmäßig besucht. Auch kulturelle Angebote wie Kino, Theater oder Konzert besucht die Hälfte der Befragten selten.

Kurz-Interview: „Stadtteilbereiche wurden zufällig ausgewählt“ 

Drei Fragen an Dietrich Oberwittler, Forscher am Max-Planck-Institut:

Warum haben Sie für die Befragung Essen ausgewählt?

Dietrich Oberwittler: Es sollte neben Köln eine weitere, aber deutlich anders strukturierte Großstadt in NRW mit hohem Alten-Anteil sein. Essen verfügt außerdem über eine gute Städte-Statistik, das ist wichtig für unsere Analysen.

Warum wurden kaum Bürger im Essener Süden befragt?

Oberwittler: Es handelt sich um eine Zufallsauswahl aus 312 Bereichen in den 50 Stadtteilen, allerdings wurden die Bereiche mit den höchsten Quoten der SGB-Leistungsempfänger doppelt gewichtet. Da es in Essen das starke Nord-Süd-Wohlstandsgefälle gibt, hat sich das auf die Verteilung ausgewirkt. Aber es gibt sowieso mehr Gebiete im Norden, weil dort die Bevölkerungsdichte höher ist und die Stadtteilbereiche ungefähr gleich viele Einwohner haben. Wenn man die überproportionale Ziehung der sozial schwachen Gebiete statistisch ausgleicht, sind die Ergebnisse repräsentativ für die Stadt Essen.

Gab es Ergebnisse, die Sie so nicht erwartet haben?

Oberwittler: Überraschende Ergebnisse waren zum einen, dass sich neun Prozent, also mehr als nur eine kleine Minderheit, der befragten Frauen ab 80 Jahren tagsüber in ihrer eigenen Wohnung unsicher fühlen (und noch viel mehr nachts). Zum anderen hat uns überrascht, dass das Vertrauen in die Polizei selbst in den Wohngebieten mit den meisten Problemen und der stärksten Unsicherheit genauso groß war wie in allen anderen Teilen der Stadt.