Essen. . Der Buchhandel darf bald eine kommentierte Fassung ins Regal stellen. In der Essener Stadtbibliothek lagern zwei Originale im Tresor: seit Jahren unbenutzt.

In finsterster Zeit war das Tyrannenbuch Kult – ein Bestseller in Millionenauflage, ja sogar Beigabe zum Ja-Wort auf dem Standesamt. Siebzig Jahre später lagern zwei angegriffene Bände von Hitlers „Mein Kampf“ im Tresor der Stadtbibliothek, der somit eher „Giftschrank“ ist: für ein gefährliches Hass-Buch voller Antisemitismus, Propaganda und Größenwahn.

Doch schon bald ist das so lange weggesperrte Buch des Massenmörders und Kriegsverbrechers wieder frei erhältlich. Weil die Urheberrechte Ende dieses Monats – 70 Jahre nach dem Tod des Autors – enden, darf der Buchhandel eine „historisch-kritische Neuausgabe“ (2000 Seiten) ins Regal stellen. Doch zumindest in Essen hält sich die Nachfrage nach dem „braunen“ Buch arg in Grenzen. Von Führer-Hype keine Spur.

„Nicht eine einzige Vorbestellung“ hat Buchhändlerin Beate Scherzer („Proust“) entgegengenommen. Feray Zirkel, Leiterin der Mayerschen Buchhandlung am Markt, verkauft gerne und möglichst viele Bücher. Doch im Fall von „Mein Kampf“ verhalte es sich genau umgekehrt. Allenfalls werde die kritisch-kommentierte Neuausgabe verkauft, diese aber nur „in kleinen Mengen“. Und wenn ein Kunde eine unkommentierte, neu aufgelegte Originalversion verlange? „Nein“, erwidert Feray Zirkel, die aus ihren türkischen Wurzeln kein Hehl macht. „Dieser Kundenwunsch wird nicht erfüllt.“

Ausgabe von 1925/26 sei in Sammlerkreisen gefragt

Als das Deutsche Reich im Mai 1945 in Schutt und Asche lag, die schockierte Welt von den Gaskammern in Auschwitz erfuhr und sich fanatische Nazis plötzlich als „harmlose Mitläufer“ ausgaben, wurden zahlreiche Bestseller-Bände dezent entsorgt. Strafbar war der Handel damit nie, wohl aber anrüchig. In Antiquariaten und bei Buch-Trödlern wurde „Mein Kampf“ seitdem lieber unter der Ladentheke verkauft.

Kenner der Antiquariats-Branche berichten über eine Art Ehrenkodex: Nie verkaufen an Ewiggestrige und Leute mit Springerstiefeln, wohl aber an zuverlässige Stammkunden, denen man ein ehrliches Interesse abkauft. Und die Preise? Nun, nur die erste, zweibändige Ausgabe von 1925/26 sei in Sammlerkreisen „gefragt und teuer“. Vierstellige Beträge würden dafür verlangt. Aber die nach 1933 massenhaft gedruckten Bände seien für lediglich 75 Euro erhältlich – in der Antiquariatsszene fast ein Ramschpreis.

Keine Werbung für "Mein Kampf"

Die weitverbreitete Sorge, das neuaufgelegte Teufelswerk könne abermals die Köpfe der Deutschen vergiften, scheint unbegründet zu sein. Denn schon das Interesse an den beiden Bibliotheksbänden – von ‘33 der eine, von ‘41 der andere – ging zuletzt gegen Null. „In den letzten beiden Jahren sind sie gar nicht mehr benutzt worden“, sagt Leiter Klaus-Peter Böttger. Auch in den beiden Jahrzehnten davor musste der Tresor nur 13-mal geöffnet werden – immer gegen einen wissenschaftlichen Nachweis.

Feray Zirkel von der Mayerschen freut sich jetzt aufs Weihnachtsgeschäft. Ob der neue „Mein Kampf“ beworben werde? „Auf keinen Fall“, erwidert sie prompt. Und Beate Scherzer vom „Proust“ wagt diese Prognose: „Das Buch ist bisher nicht bestellt worden und es wird auch in Zukunft nicht verlangt werden.“