Essen. . Die Stadt Essen plant Flüchtlingsunterkünfte an 15 neuen Standorten. Der Eingriff in die freie Landschaft ist radikal. Ein Kommentar.

So langsam wird klar, was der Oberbürgermeister jüngst im WAZ-Interview meinte, als wir ihn zur Flüchtlingskrise befragten: „Diese Stadt wird sich verändern“, meinte Thomas Kufen. Das war absolut nicht übertrieben.

Man könnte sagen: Sollten die nun vorgestellten ambitionierten Pläne Wirklichkeit werden, würde Essen Veränderungen entgegen gehen, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ende der 1970er Jahre war es, als jene Phase der Stadtentwicklung endete, die massiv in die offene Landschaft eingriff, um Wohnraum zu schaffen. Rücksicht auf Natur und Landschaft spielte da keine große Rolle. Die Umweltbewegung veränderte dann alles, das Pendel schlug weit in die andere Richtung aus.

Stadtplaner ließen oft lieber der Natur den Vorzug

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Bis heute ist an den Essener Stadträndern kaum noch im größeren Stil Freiraum für Wohnsiedlungen ausgewiesen worden, der Widerstand war viel zu groß. Allenfalls auf einigen ausgedienten Industrieflächen fanden Investoren Raum für Neues, aber auch da ließen die Stadtplaner oft lieber der Natur den Vorzug. Sehr vereinzelt gab es Äcker, auf denen trotz des Stillstands Baurecht entstand, etwa an der Grünen Harfe in Heidhausen. Aber wie kompliziert war das ganze Verfahren, wieviele Jahre dauerte dennoch dort die Diskussion, die teilweise absurde Züge hatte.

Und nun? Ob in Haarzopf oder Fischlaken, Altenessen oder Bedingrade, Schuir oder Steele-Horst: Wo bislang zu viel Rücksicht auf die Beharrungskraft einzelner Besitzstandswahrer genommen wurde, ist nun das glatte Gegenteil geplant. Einst geradezu heilig gesprochene Naturlandschaften und naturnahe Stadtteilflächen sollen mit einem Federstrich geopfert werden, um irgendwie Platz zu schaffen für Flüchtlingswohnungen. Manches wirkt sinnvoll, ist vielleicht sogar überfällig, wobei es schon etwas merkwürdig anmutet, dass erst eine Flüchtlingskrise kommen muss, bevor die Stadt sich traut, mehr Bauland für Neubürger auszuweisen.

Eingriffe in unersetzliche Naturräume

Anderes ist aber einfach nur brutal. Das Hexbachtal im Dreistädteeck Essen/Mülheim/Oberhausen oder auch die freie Landschaft um das Wetteramt in Schuir sind als Naturräume unersetzlich. Hier darf nicht einfach drauflos gebaut werden, womöglich noch mit einer Billig-Architektur, die dem Reiz dieser Landschaften überhaupt nicht gerecht wird.

Man darf gespannt sein, wie beispielsweise die Grünen und die Umweltverbände auf diesen Bauland-Exzess reagieren, der mit allem bricht, wofür sie einst standen. Natürlich: Die Grünen sind auch die größten Verfechter einer Willkommenskultur, bei der nun deutlich wird, dass sie einen Preis hat, den so vielleicht nicht jeder auf der Rechnung hatte. Dass Zusammenrücken angesagt ist, war angesichts der Zahlen zwar klar. Und klar ist auch, dass es Flüchtlinge eben in aller Regel in die großen Städte wie Essen zieht und die teuren Zeltstädte gewiss nur eine Übergangslösung sein können.

Doch muss dabei wirklich so gnadenlos mit der schönen Essener Landschaft umgegangen werden? Und hat die Stadt bedacht, dass die vorgestellte Bau-Philosophie die Bildung regelrechter Ghettos befördert, in denen das Integrationsziel aus den Augen geraten könnte? Statt in großer Hektik den Stadtrand zu zersiedeln, sollte noch einmal etwas länger über das Verdichten innerhalb der Stadt nachgedacht werden. Denn Fakten, die jetzt geschaffen werden, sind wahrscheinlich nie mehr korrigierbar.