Essen. Das Traditionshotel im Handelshof schließt und die legendäre „Jimmy’s Bar“ ist Geschichte. Barkeeper Gerd Nienburg stand 23 Jahre an der Theke.
Der letzte Drink, den Gerd Nienburg am Sonntagabend ausschenkt, wird eine Feuerzangenbowle sein. Kein Getränk, das einen anspruchsvollen Barkeeper-Gaumen unbedingt kitzelt. Aber die filmbekannte Bowle passt zur Geschichte eines Hotels, das die Eltern des großen, in Essen geborenen Schauspielers Heinz Rühmann in den Anfangsjahren geleitet haben. Eine lange Tradition geht auch zu Ende, wenn sich die Mövenpick-Gruppe an diesem Wochenende als Betreiber aus dem Handelshof verabschiedet.
23 Jahre hat Gerd Nienburg die Hotel-Geschichte mitgeschrieben und die hauseigene Bar zum Aushängeschild gemacht, „von der Bierschwemme zur Bar“, sagt der 66-Jährige nicht ohne Stolz. Jetzt geht das Kapitel „Jimmy’s Bar“ zu Ende. Was der Nachfolge-Pächter des Traditionshotels am Hauptbahnhof, die Hamburger Novum Hotel Group, gastronomisch plant, wird sich erst 2016 zeigen. Zum Abschied wird Nienburg, wie es sich für Anlässe solcher Art gehört, sogar den schwarzen Zylinder tragen.
Der Essener Handelshof früher und heute
1/46
Jopie Heesters und Anne Will
Der Chapeau claque passt durchaus in dieses Ambiente, das mit seinem warmroten Interieur, den stilvollen Ledersofas und liebevoll zusammengetragenen Emaille-Plakaten wohltuend vom stylischen Yuppie-Chic abhebt.
Hotel mit Geschichte
Das historische Hotel Handelhof wurde 1913 vis-à-vis des Hauptbahnhofes eröffnet, anfangs leiteten es die Eltern des 1902 in Essen geborenen Schauspielers Heinz Rühmann. Der markante Schriftzug „Essen. Die Einkaufsstadt“ wurde 1950 auf dem Hoteldach angebracht, seit 1985 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Nachfolger der Mövenpick-Gruppe wird die Hamburger Novum Hotel Group , die den Handelshof 2016 neu eröffnen will.
Barkeeper Gerd Nienburg wird man als Whisky-Experte weiter in Essen erleben können. Für das Rüttenscheider „Mittendrinn“ bietet er regelmäßig Verkostungen an. Der nächste Termin ist der 19. Februar.
Jopie Heesters und Anne Will haben hier schon einen Drink bestellt, Otto Waalkes und Wim Wenders, als es noch angesagt war, Tourneegäste im Handelshof unterzubringen. Manche der Gäste waren sogar Kenner in einer Klasse, die Nienburg selber zu einiger Perfektion gebracht hat: die Verkostung von Single-Malt-Whiskys.
Zweite Heimat für viele Messegäste
Der Schwenk zur Edel-Spirituose war für Nienburg Teil des Konzepts, als er das verlebte Etablissement vor 23 Jahren übernahm. „Damals“, erinnert sich der Mann mit dem markanten Kahlschädel, „war das Quartier am Essener Hauptbahnhof noch ein richtiges Ausgehviertel.“
Heute ist „Jimmy’s Bar“ nicht nur für langjährige Messegäste eine zweite Heimat geworden, eine Oase der persönlichen Ansprache jenseits der Systemgastronomie. Gestrandete Bahnkunden wie treue Geschäftsleute schätzen diesen Ort des kultivierten Trinkens und des gepflegten Gesprächs. Nienburg, der Gastronomie gelernt und Kunst und Sprachen studiert hat, bevor er zehn Jahre lang als Reiseleiter unterwegs war, weiß eben, was er seinen Gästen schuldig ist. „Ein Barkeeper muss sprachgewandt sein“, findet der 66-Jährige. Gute Allgemeinbildung und noch mehr Menschenerfahrung gehören für ihn außerdem zu diesem Beruf, der weit mehr ist als Spirituosen auszuschenken. Als Barkeeper, sagt Nienburg, sei man so ziemlich alles: Seelentröster, Beichtvater, Ehetherapeut. „Sie lernen, wie man Entlassungspapiere liest, Scheidungsunterlagen und ärztliche Atteste.“
Nicht zu unterschätzen sei eine Hotelbar auch als Reklamationsstelle. „In einer normalen Bar ist das wichtigste Ziel, dass am Ende des Monats der Umsatz stimmt. In einer Hotelbar geht es primär um die Zufriedenheit des Kunden.“ Und wie viele Laken wurden schon gewechselt, wie viele Badezimmer-Malheurs beseitigt, während Nienburg unten an der Theke Gespräch und Drink angeboten hat.
Barkeeper müssen diszipliniert sein
Dass man mitfühlen darf, aber nicht mittrinken, war ihm rasch klar: „Man muss als Barkeeper diszipliniert sein. Wer die Grenzen nicht kennt, erlebt die Rente nicht.“ Dazu gehört die Anzahl der Drinks genauso wie die tägliche Koffein-Zufuhr. Zwei Tassen pro Abend, da ist Nienburg eisern. So hat sich der Vielfahrer Gesundheit und Führerschein erhalten, trotz der zahllosen nächtlichen Kontrollen auf der Heimfahrt nach Langenberg. „Beim 50. Mal habe ich aufgehört, mitzuzählen.“
Eine seiner beliebtesten Cocktail-Kreationen heißt deshalb auch „Ruhrallee“, „da habe ich Stunden im Stau gestanden“. Natürlich ohne Auspuffgas-Aromen, sondern eine süffige Mischung aus Cointreau, Cranberrysaft und Prosecco. Dabei ist Nienburg nun wirklich „kein Süßer“. Die Feuerzangenbowle ist trotzdem Ehrensache.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.