Der einst mächtigste Sozialdemokrat der Stadt, präsentiert (s)ein politisches Lesebuch zwischen Parlament, Knast und verletztem Macho-Stolz.
Es war, wenn die Erinnerung an jene Jahre nicht trügt, an einem Vormittag in seinem Büro am Waldt-hausenpark und es ging dort um die Frage, wie viel politische Schmutzbuckeligkeit darin liegt, als schier allmächtiger SPD-Fraktionschef seine politische Macht mit einträglichen Geschäften zu verknüpfen, ob nun justiziabel oder nicht. Da sprang Willi Nowack auf, griff ins Regal zu einem kleinen Ordner, ging ins Nachbarbüro und holte einen zweiten und legte dem verdutzten Journalisten nichts weniger als seine jüngsten Kontoauszüge zum Durchblättern vor. „Bitte sehr.“
Die Zahl, die unterm Strich stand, ist in der Erinnerung abhandengekommen, aber es war, so viel ist gewiss, eine für Normalverdiener furchteinflößende, weil beachtlich fünf- oder gar sechsstellige Summe mit einem Minus davor. Für Nowack war damit seine Unschuld bewiesen, denn niemand bei klarem Verstand, so lautete seine These, würde doch rote Zahlen schreiben, wenn er durch Ränkespiele und korruptes Hintenrum Kasse machen könnte.
Das ist natürlich dummes Zeug, weil dem Gegenüber ja nicht mal klar war, wieviele Konten noch existierten, aber für Willi Nowack war schon immer nur wahr, was er dafür hielt: ein persönlich gefärbter Ausschnitt der Wirklichkeit, den er allenfalls dann neu justierte, wenn es gar nicht mehr anders ging. Daran hat sich, wie dieser Tage deutlich wird, bis heute nichts geändert.
Denn er ist wieder da. Nicht politisch (bevor da in sozialdemokratischen Reihen jemand der Schnappatmung erliegt), sondern, nunja, literarisch: Willi Nowack hat wie angekündigt „Nachgetreten“. So lautet jedenfalls der Titel seines Lesebuches, in dem der einst so mächtige Genosse zum Preise von 19,95 Euro einen „Blick zurück im milden Zorn“ auf sein Leben erlaubt: vom Aufstieg und Fall eines Arbeiterkindes aus Altenessen, das mit 24 als Benjamin in den Stadtrat einzog, mit 44 als eine Art politischer Pate die Geschicke der Stadt lenkte, und mit 63 im Knast landete.
Stoff genug, so möchte man meinen, eine spannende Lebenslinie nachzuzeichnen: vom lebenslustigen Emporkömmling, der sein erstes juristische Staatsexamen mit „mangelhaft“ versemmelt, obwohl er doch in bester Guttenbergscher Manier das Werk eines renommierten Gutachters abgepinnt hat, zum Polit-Zampano mit gut gefüllter Brieftasche, der keine Fußball-WM auslässt, bis hin zum tränenreichen Weg hinter Gitter, wo er mit „Danger“ die Zelle teilt und für einen Euro pro Stunde in der Spülküche Teller wäscht.
Leider leidet das Werk arg darunter, dass Nowack zwar immer schon ein begnadeter Strippenzieher war, aber trotz mancher selbstironischer verbaler Schlenker sicher kein guter Erzähler. Was umso bedauerlicher ist, weil „der Willi“ größtenteils keine neuen Fakten liefert, sondern sich mit persönlichen Kommentaren am allseits Bekannten entlanghangelt. Und immer dann, wenn’s wirklich spannend werden könnte, wenn die Zeitgenossen von einst ihm zutrauen, eine Etage tiefer zu gehen und die „wahren“ Hintergründe der damaligen Ereignisse zu enthüllen, huscht er zum nächsten Thema.
Schade drum, denn wer in jenen Jahren das politische Spiel verfolgte, auf dem Platz oder aus sicherer Entfernung von der Tribüne, für den sind die ausholenden „Weißte noch“-Schilderungen einschlägig bekannter Sachverhalte ungefähr so spannend, wie einer frischgestrichenen Wand beim Trocknen zuzusehen. Aber vermutlich geht es dem passionierten Fußballspieler Nowack ja auch weniger darum, das Spiel seines Lebens nachzuerzählen als sich vielmehr für all die eingesteckten „Fouls“ zu revanchieren, derer er vor allem die lokalen Medien bezichtigt: Die hätten ihn ungerecht behandelt, vorverurteilt und letztlich im Verein mit einer fehlgeleiteten Justiz wirtschaftlich ruiniert.
Was soll man da sagen? Nowack hat offenbar bis heute nicht verstanden, dass ihm nicht die Justiz und nicht die Medien – bei allen gern zugestandenen Ruppigkeiten – Beinchen stellten, sondern er sich vor allem selber: indem er eben keine saubere Grenze zwischen lukrativen Beraterjobs und politischer Arbeit zog, indem er Gegner im Zweifel auch mit unsauberen Methoden aus dem Weg räumte, indem er sich und der SPD eine Stadt zur Beute machte. Schon wahr: Es gibt auch Journalisten, die sich korrumpieren lassen, und die Politik als Schlangengrube hat Nowack beileibe nicht erfunden, aber er hat sie für die Essener Verhältnisse perfektioniert – und ist am Ende selbst hineingefallen.
„Jammern und Selbstmitleid sind nicht mein Ding“, schreibt Nowack, aber wenn sich ein Macher und Macho als verfolgte Unschuld inszeniert, muss er sich – ganz Spielführer – auf vielen der 250 Seiten an denen abarbeiten, die er für die Verantwortlichen an einem teils verkorksten Lauf der Dinge hält: an der Justiz mit der juristischen Abhandlung eines Strafrechtlers, an der Journaille mit einem befreundeten Journalisten, an einstigen politischen Wegbegleitern mit abkanzelnden, manchmal ehrabschneidenden Kommentaren, die ohne argumentative Herleitung aufploppen.
Auch wenn Nowack sich manche Fakten arg zurechtbiegt: Sie alle werden das ertragen, auch weil das Buch, für das sich kein Verleger fand und das nun in Eigeninitiative als „finanzielles Wagnis“ (O-Ton Nowack) in den Handel gekommen ist, zeitlich arg entrückt daherkommt. „Willi wer?“ werden jüngere Leute fragen und den politischen Altvorderen bei ihren Schilderungen des damaligen Systems Nowack an den Lippen hängen, als erzählten diese wie Opa vom Krieg.
Die anderen aber werden – je nach persönlicher Nähe – mal schmunzelnd, mal verärgert, mal kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, dass der Willi am Ende doch immer noch der Alte ist.
Das wäre ein beunruhigendes Gefühl, stünde er noch auf dem Platz, aber diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Nowack kommentiert nur noch als Politrentner am Spielfeld- rand.
Wer’s braucht.