Kupferdreh. .
„Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts“, sagte einst der dänische Philosoph Søren Aabye Kierkegaard (1813-1855). Ein Aphorismus, aber auch Sinnbild für die Arbeit des Kupferdreher Heimatforschers Johann Rainer Busch, der sich seit vielen Jahren bemüht, die Geschichte seines Stadtteils zu bewahren und lebendig zu halten.
Die Worte Kierkegaards finden sich auch in einem Buch, das Rainer Busch unter dem Titel „Kupferdreh und seine Geschichte“ im Oktober 2008 veröffentlichte. Darin beschreibt er anschaulich und lebensnah die wechselhafte Historie des Stadtteils. „Man hört beim Lesen die Geräusche in Kupferdreh vor 100 Jahren“, beschrieb die Essener Bundestagsabgeordnete Petra Hinz ihre Gefühle bei der Präsentation.
Das Buch brachte Busch mit Hilfe der Kupferdreher Bürgerschaft heraus und ließ dabei seine vorher erarbeitete Chronik zum Hundertjährigen des Vereins einfließen, der 1897 gegründet wurde. Dabei half ihm seine Erfahrung, die er im Arbeitskreis „Heimat und Brauchtum“ (heute „AK Heimatkunde und Archiv“) gesammelt hatte und den er seit 1991 leitete, bevor er vor zwei Jahren sein Ehrenamt an Liselotte Gramke abtrat. Noch heute verwaltet Busch das Archiv im Mineralienmuseum Kupferdreh.
Dank seiner Arbeit gedieh das Archiv trefflich: „Das Interesse der Menschen ist da. Besonders bei den Älteren, aber auch jüngere Kupferdreher schauen vorbei; ebenso wie Delegierte von ehemaligen Vereinen. „Sie alle wollen ihre Schätze vor dem Vergessen bewahren.“
Ein Anliegen, das Rainer Busch gut nachvollziehen kann, ist seine Familie doch eng mit der Historie Kupferdrehs verknüpft: Die Spurensuche beginnt im Jahr 1894, als Rainer Buschs Urgroßvater Johann seinem Hof im Bergischen Land den Rücken kehrt, um an der Ruhr als Fuhrmann mit Pferd und Wagen zu arbeiten. Zwei Jahre später erblickt Rainer Buschs Großvater Johann Wilhelm Busch („Wir heißen alle Johann“) das Licht der Welt. Der gute Wilhelm ist viele Jahrzehnte als „gute Seele“ des Königlich-Preußischen Bahnhofs zu Kupferdreh bekannt.
Rainer Buschs Vater Johann (Hans) Wilhelm, ein gelernter Drogist, verdiente seinen Lebensunterhalt nach Umwegen auf der Zeche Heinrich in Überruhr. Im Jahr 1968 machte die Zeche dicht. „Wir haben in der alten Waschkaue gewohnt“, erinnert sich Rainer Busch. Im Keller der Zeche wurden alte Protokollbücher gelagert, die er vor dem Müllcontainer rettete, um sie intensiv zu studieren. Da war er 18 Jahre alt. Doch seine Liebe zur Heimat war – beseelt durch die Erzählungen seines Großvaters Wilhelm – längst erweckt. Geboren wurde Rainer Busch am 23. April 1949 in Steele, im Haus seiner Großeltern. Steele war damals noch britische Zone. „Ich bin eine Woche älter als die Bundesrepublik Deutschland“, sagt Busch. Seinen „Zechenschatz“ brachte er zur Bürgerschaft Kupferdreh, nachdem er 1988 aus Überruhr an den Ort seiner Väter zurückgekehrt war. Der Rest ist bekannt.
Mittlerweile kennt Rainer Busch die Szene der Heimatforscher wie kaum ein Zweiter. Das Wirken der Arbeitsgemeinschaft Essener Geschichtsinitiativen hat er seit deren Gründung vor 25 Jahren intensiv verfolgt. Er selbst war 14 Jahre lang Geschäftsführer des Stadtverbandes der Bürger- und Verkehrsvereine Essen. Busch, ein gelernter Elektriker, der später zum Programmierer umschulte, veröffentlichte etliche Publikationen. Gemeinsam mit Hans-Günter Deilmann brachte er 1992 sein erstes Buch über die Prinz-Wilhelm-Eisenbahn heraus, später die Kupferdreher Chronik und Themenhefte über den Kupferdreher Bahnhof, das Deilbachtal und die neue Wohnbausiedlung „Seebogen“. Unlängst erschien sein Buch über die Kupferdreher Straße, deren Entwicklung er Hausnummer für Hausnummer nachzeichnet. „Weitere Hefte zur St. Josef-Kirche und den Bergbau vor Ort sind in Planung.“
Doch Rainer Busch geht auch direkt auf die Menschen zu: Im Seniorenheim St. Josef veranstaltet er regelmäßig einen Herrenfrühschoppen, dort tauscht man sich aus. Er hält Diavorträge und führt die Menschen, gelegentlich auch im Gewand eines Nachtwächters, durch die Straßen des Quartiers; erzählt allerlei Anekdoten, um auch bei Jüngeren das Interesse an der Heimat zu wecken. „Heimatkunde wird ja heute leider nicht mehr unterrichtet.“
Am 17. Juni 1844 erschien in Kopenhagen übrigens das Buch eines gewissen Vigilius Haufniensis, was zu Deutsch mit „Der Nachtwächter Kopenhagens“ übersetzt werden kann. In Dänemarks Hauptstadt weiß man sofort, wer sich hinter dem schrulligen Pseudonym verbirgt: Sören Aabye Kierkegaard. So schlägt Rainer Busch – wenn auch unbewusst – erneut den Bogen zum großen Schriftsteller und Theologen.