Essen. . Nordcity sucht weiter nach Möglichkeiten der kulturellen Belebung. Viele Anwohner fühlen sich bislang kaum angesprochen. Initiatoren planen langfristig
Wandel durch Handel, hieß einmal das Rezept zur Entwicklung schwieriger Innenstadtlagen. Aber wenn der Handel wegzieht, Ladenlokale leer stehen und Immobilien an Wert verlieren, dann sollen es die Kreativen richten und zum Entwicklungsmotor eines Viertels werden. Mit der Besetzung des ehemaligen DGB-Hauses an der Schützenbahn und dem Schwung des Kulturhauptstadt-Jahres 2010 hat die Geburtsstunde des Kreativquartiers in der Nordstadt geschlagen. Fünf Jahre danach sucht das Viertel weiter nach Wegen zur langfristigen Belebung. Am Wochenende kann sich das Publikum beim vierten „Art Walk“ zwischen Porscheplatz und Pferdemarkt ein Bild vom Stand der Dinge machen.
Die Veranstaltung musste über die Jahre finanziell zwar etwas kürzer treten, kann aber weiterhin auf die Unterstützung von Kulturbüro und vielen Mitstreitern bauen. 23 Orte machen mit und präsentieren zumeist laufende Programme – vom Kleinen Theater am Gänsemarkt, bis zum Unperfekthaus. Für Mäzen und Macher Reinhard Wiesemann ist die Nordstadt nach wie vor ein Ort mit Potenzial, dessen Leuchtkraft irgendwann weit über die Stadtgrenzen hinaus wirken könnte. Dass bei den meisten Nordstadt-Anwohnern derzeit aber weder Information noch Interesse an den Aktivitäten vorhanden ist, hat jetzt eine Studie des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung (VHW) zutage gebracht. 60 Prozent Single-Haushalte, hoher Migrantenanteil, der Anteil an Kreativen derzeit nicht eben hoch und dazu schlecht vernetzt: VHW-Mann Bernd Hallenberg beschreibt eine „relativ schwierige Ausgangslage“, sieht aber Potenzial. Vor allem langfristig malt die VHW-Studie dem Viertel Chancen aus. Denn die Untersuchung, die die klassische Nord-Süd/Arm-Reich-Einteilung durch eine komplexe Milieu-Aufsplitterung ersetzt, in der sich die „Performer“ ebenso finden wie Konsum-Hedonisten und die Bürgerliche Mitte, sieht die traditionellen Leitmilieus nicht nur in der Nordstadt auf dem Rückzug. Und formuliert damit eine kulturpolitische Kernfrage: Wenn sich die Bevölkerungsstruktur ändert, muss sich dann auch das Kulturangebot ändern? Weniger Etabliertes, mehr Experimentelles und Interkulturelles?
Pop-up-Ausstellungen in leeren Ladenlokalen und Kunst im türkischen Kiosk dürften da nur bedingt eine Antwort sein. Gleichwohl will man die Entwicklung auch nicht allzu straff steuern. „Hier geht es nicht um ein Künstlerkolonie à la Worpswede“, sagt Kulturdezernten Andreas Bomheuer, der die Entwicklung der Nordstadt trotz knapper Mittel zu einer zentralen Aufgabe erklärt hat. „Es geht um soziale Gestaltungsprozesse.“
Infos zum Artwalk
Der Art Walk läuft am Samstag, 28. November, zwischen 12 und 20 Uhr im Kreativ-Quartier zwischen Schützenbahn, Pferdemarkt und Kopstadtplatz.
An 23 Orten gibt es Kunst, Design und Kreatives: Am Generationen Kult-Haus starten Quartiersspaziergänge, das GOP Varieté zeigt Walking Acts. Auf alle Besucher wartet erstmals eine Tombola mit Kulturpreisen. www.kq-essen.de
Kreative Impulse und persönliche Initiativen sind dabei willkommen. So trägt sich der Essener Stifter Freddy Fischer derzeit mit dem Gedanken, einen „Raum der Stille“ nach dem Vorbild des in Berlin ansässigen Künstlers Nikolai Makarov in der Nordstadt einzurichten, sofern sich Immobilienpartner finden. Galeristin Ricard Fox überlegt hingegen, die Räume an der Kasteienstraße nach sechs Jahren zu schließen. Der Plan, die Galerie zu einer Plattform für junge Künstler zu machen, habe sich nicht realisiert. „Wir haben eine Menge guter Sachen angeboten, aber sie werden nicht angenommen“, sagt Fox.
Mit der Frage, „ob man Kreativität verordnen kann“, steht sie nicht allein da. Auch im politischen Raum gibt es Zweifler wie Befürworter. „Das bleibt eine künstliche Veranstaltung“, fürchtet SPD-Politiker Hanns-Jürgen Spieß. Hans Aring, kulturpolitischer Sprecher der SPD, setzt dagegen auf Zeit: „Das ist ein Prozess, den man sich über Jahre anschauen muss.“ Und für CDU-Kollegin Christiane Moos ist das „eine Riesenchance für das Quartier“. Bedeutung dürfte dabei dem Allbau zukommen, dessen Projekt „Kastanienhöfe“ für Belebung sorgen kann. Allbau-Sprecher Dieter Remy spricht von Aufbruchstimmung: Mittelfristig werde sich das Viertel zum Quartier mit abwechslungsreicher Gastronomie, Einzelhandel und Szeneläden entwickeln. Vielleicht heißt es am Ende: Wandel durch Wohnen.