Essen. Der weitere Zustrom von Kindern und Familien stellt das Jugendamt vor riesige Herausforderungen. Erste Weichen zur Integration werden gestellt.

Ankommen in Essen – das ist weitaus mehr, als ein Bett in einem Flüchtlingsdorf zugeteilt zu bekommen, sich im Sozialamt registrieren zu lassen und dort ein Konto bei der Sparkasse eröffnen zu dürfen. Und ankommen wollen heißt, Lern- und Leistungsbereitschaft zu zeigen in einer Stadtgesellschaft, die die Arme öffnet, die richtigen Weichen stellt und jene Neuankömmlinge, die neugierig auf ihre neue Heimat sind, nach Kräften unterstützt.

Solche Integrations-Ziele zu formulieren, ist leicht. Sie zu erreichen, eine echte Herausforderung. Sie zu verfehlen, kann sich Essen nicht erlauben.

Kinder systematisch unterstützen

Für Sozialdezernent Peter Renzel ist mit Blick auf den weiteren Zustrom von Flüchtlingen mit hunderten Kindern vor allem eins klar: „Es darf sich nicht das wiederholen, was in den 90er Jahren versäumt wurde“ – die Familien dürfen nicht – wie damals die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon – sich selbst überlassen werden. „Wir müssen die Kinder und Jugendliche von Beginn an systematisch unterstützen, sie mit allen Mitteln fördern, damit sie irgendwann ein eigenständiges Leben führen können“, sagt Renzel, der von einer „Mammutaufgabe“ spricht: „Die gesamte Jugendhilfe ist komplett herausgefordert.“ Aber weder untätig noch ideenlos.

In einem Konzept haben die Verantwortlichen jetzt erstmals ausführlich beschrieben, welche Aufgaben auf den Feldern des Spracherwerbs, der Gesundheit, der Betreuung oftmals traumatisierter Kinder und der Jobsuche vor ihnen liegen.

Aufklärung und Prävention

Bei einem unverminderten Zuzug der jungen Menschen zeichnet sich schon jetzt ab, dass bis Ende 2017 mindestens 250 zusätzliche Plätze in Heimen und Wohngruppen für unbegleitete Jugendliche geschaffen werden müssen. In den 16 Übergangsheimen und Zeltdörfern sollen Spielgruppen mit muttersprachlichen Betreuerinnen eingerichtet werden. Für das laufende Jahr stehen der Stadt zu diesem Zweck Landesgelder in Höhe von 374.000 Euro zur Verfügung. Wie ein solches Angebot auch 2016 finanziert werden kann, ist ungeklärt. Für Flüchtlingskinder, die mit ihren Familien in Wohnungen leben, sind so genannte Sprachspielgruppen geplant. Da sich bereits abzeichnet, dass Kindergärten schon jetzt mit der Betreuung traumatisierter Kinder überfordert sind, haben das Jugendpsychiatrische Institut und die örtliche Kinder- und Jugendpsychiatrie Beratung und Unterstützung in schwierigen Fällen angeboten.

Erforderlich erscheint den Jugendhilfeplanern eine Hebammensprechstunde zu festen Zeiten in den Unterkünften, aber auch Aufklärung und Prävention, um Kinder vor Missbrauch und Gewalt schützen zu können. Kurzfristig sollen Notaufnahmen geschaffen zu werden, um kleine Kinder in Krisen schützen zu können. Auch dann, wenn die Eltern krank werden oder die Minderjährigen ohne Eltern in Begleitung von Bruder, Tante, Onkel nach Essen kommen.

"Sprache ist die absolute Grundlage"

Unterschiedlichste Angebote des Jugendamts vom mehrtägigen Kulturcamp in der Zeche Carl bis hin zu Kunstausstellungen sollen die Kinder und Jugendliche aus den Flüchtlingsunterkünften herauslocken, um Kontakte zu Gleichaltrigen und die Teilnahme an Kultur-, Sport- und Bildungsangeboten zu ermöglichen. All das wird ohne zusätzliches Personal in nennenswerter Zahl nicht möglich sein. Rund 1000 Flüchtlingskinder lebten zum Stichtag 30. September in Essen. 432 von ihnen waren jünger als sechs Jahre. Inzwischen dürften es deutlich mehr sein.

„Wir müssen die Familien und deren Kinder in die Lage versetzen, in Essen Fuß fassen zu können“, sagt Peter Renzel: „Sprache ist dafür die absolute Grundlage.“