Essen. Der Internationale Folkwang-Preis 2015 wurde an Hans Ulrich Obrist vergeben. Der Starkurator steht in der Tradition des großen Sammlers Osthaus.
Man kann Hans Ulrich Obrist als den international derzeit wichtigsten Kurator und Kunstkritiker bezeichnen. Man könnte die Liste der Berufsbeschreibung aber auch weiterführen: Vermittler, Netzwerker, Buchautor, Reisender, Interview-Experte und seit gestern auch der dritte Empfänger des Internationalen Folkwang-Preises. Die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung geht an Personen oder Institutionen, die sich der Vermittlung des aktuellen Kunstschaffens verschrieben haben. Und wie seinerzeit der große Folkwang-Sammler Karl Ernst Osthaus setze Obrist die Zusammenarbeit mit Künstlern ins Zentrum seiner Bemühungen, lobt Ulrich Blank, Vorsitzender des Folkwang-Museumsvereins.
Sammlung von Handschriften
Als weltgewandter, belesener und innovativer Vermittler ist der 47-Jährige in den vergangenen 25 Jahren zum Starkurator aufgestiegen. 1991 präsentierte er seine erste Ausstellung in der Küche seiner Schweizer Studentenwohnung mit Arbeiten von Fischli und Weiss. Damals kamen 29 Besucher. Heute begrüßt Obrist ein Millionen-Publikum in den großen Museen, die er mit Weltstars wie Gerhard Richter, aber auch mit jungen, unbekannten Künstlern bespielt. Die Londoner Serpentine Gallery, die er seit 2006 als Co-Direktor leitet, hat der rastlose Kunstnomade zu einer ersten Adresse der Kunstwelt gemacht. Dabei baut er wie selbstverständlich Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen digitaler und analoger Welt, und im Foto-Netzwerk „Instagram“ führt er täglich seine Sammlung handgeschriebener Sätze von Persönlichkeiten wie Nobelpreisträger Orhan Pamuk fort, um auf das Verschwinden der Handschriften im Computerzeitalter aufmerksam zu machen.
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Den Folkwang-Preis empfindet der gebürtige Schweizer als große Auszeichnung. Schon als junger Student ist er schließlich auf Hans-Peter Feldmanns großartiges Porträt über Essen gestoßen und hat danach in den Bibliotheken viel gelesen über Folkwang, Osthaus und dessen Dialog mit Bauhaus-Künstler Henry van de Velde. Die Folkwang-Idee von der Zusammenführung der Künste ist ein Ideal geblieben für ihn, der sein Leben nicht nur der Kunst verschrieben hat, sondern auch der Literatur, Musik und Architektur. 2013 hat er ein Buch mit Musiker-Interviews von Boulez bis Yoko Ono veröffentlicht. „Der Dialog steht immer am Anfang“, sagt Obrist, der Hochbewegliche, der der „Homogenisierung und Monotonisierung des Lebens“ immer wieder neue Zeit- und Lebensmodelle entgegenstellt. Sein erstes Buch sei unter dem Einfluss Balzacs erschienen, der täglich „50 Kaffee trank, aber auch mit 50 starb“, erzählt Obrist. Der „Da Vinci-Rhythmus“ mit mehrfachen 15-Minuten-Nickerchen am Tag erschien ihm „nachhaltiger“. Inzwischen gönnt sich Obrist, der Vielreisende, wieder einen geregelteren Schlaf- und Lebensrhythmus. Die Woche über arbeitet er in London, an den 52 Wochenenden im Jahr aber betreibt er seine „Recherchen“, kuratiert Ausstellungen in aller Welt, kommuniziert, vernetzt.
In Essen traf Obrist gestern auch auf einen seiner wichtigsten Mentoren: Kasper König , der im Folkwang gerade die große „Avantgarde“-Schau kuratiert hat. König habe ihm ganz praktische Dinge beigebracht, wie man einen Leihschein ausfüllt, mit Architekten arbeitet, ein Buch schreibt. Kurator sein, das lerne man „on the job“, sagt Obrist. „Aber der größte Einfluss kommt von den Künstlern.“