Essen. Bei seiner Ratspremiere spricht Essens OB Thomas Kufen von der Flüchtlingskrise und den Grenzen der Belastbarkeit. Aber: Essen habe schon größere Krisen gemeistert.

Er hat keine Ahnung, was da unter ihm passiert, aber er klatscht, denn das scheint ein feierlicher Moment zu sein: Gerade hat der Mann mit der Glatze dem Herrn mit der schwarzen Brille Blumen überreicht, andere stehen Schlange, um zu gratulieren, zu herzen und zu umarmen. Und wechseln ein paar nette Worte, von denen Omar auch nichts verstünde, würde er direkt daneben stehen.

Denn Omar ist Syrer, zehn Jahre alt, Flüchtlingskind aus Damaskus, wo sein Vater im alten Leben ein Rechtsanwalt war und er zur Privatschule ging. Bis die Bomben fielen und er sich mit Mama und den beiden Brüdern auf den Weg machte: über die Türkei und Griechenland, Mazedonien und Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, immer zu Fuß, zwei Wochen. Oder waren es drei?

Egal, jetzt ist seine neue Heimat das Zeltdorf am Altenbergshof, wo Omar mit seinem Englisch-Wortschatz so eine Art Sprecherrolle für die Bewohner einnimmt. Die setzen dieser Tage große Hoffnungen in den Essener Oberbürgermeister. Bloß sind sie nicht die einzigen.

Denn die Hoffnung, dass sich etwas ändert, hat Kufen ins Amt getragen. Mehr noch: Nicht nur anders soll es werden, sondern irgendwie alles besser – eine Bürde, die von Beginn an auf dem Christdemokraten Kufen lastet, die er sich aber auch selbst auferlegt hat. Vor einer Woche hat er die Amtsgeschäfte übernommen, „geräuschlos und würdevoll“, wie er seinen Vorgänger Reinhard Paß ausdrücklich lobt, aber am Mittwoch erst gibt es den formellen Rahmen, mit Eidesformel vor dem Rat und zuvor den ökumenischen Gottesdienst zum Start der OB-Amtsperiode.

Vom Propheten Elia ist dort die Rede, von den Möglichkeiten und Grenzen unseres Handelns, wie Superintendentin Marion Greve in ihrer Predigt erläutert: „Da befahl ihm der Herr: Geh den Weg zurück, den du gekommen bist! Geh bis nach Damaskus. . .“ Syriens Hauptstadt, ausgerechnet! Heute beginnt der Exodus genau dort und endet für viele – im fernen Essen.

Thomas Kufen weiß, dass wohl keine Passage in seiner siebenseitigen Antrittsrede so aufmerksam beäugt werden wird wie die über die Flüchtlingskrise: Der Energie-Campus – geschenkt; der OB als erster Wirtschaftsförderer – schon klar; dass „wir bei Sicherheit und Sauberkeit schon weiter waren“ – bekannt aus dem Wahlkampf; und sein Aktionsprogramm für Altendorf – auch umrissen.

Aber was sagt der neue OB zum Thema Asyl? Schafft Essen das?

„Es gibt eine Grenze der Aufnahmefähigkeit, die wir bald erreicht haben werden“, warnt der Oberbürgermeister. „Wir alle wissen nicht, wie es in den nächsten Wochen und Monaten mit den Flüchtlingen weitergeht.“

Auf jeden Fall aber nimmt der Druck erst einmal nicht ab, darum nutzt der OB seine Ratspremiere, um die Standorte für den Bau zweier neuer Flüchtlingsdörfer in Burgaltendorf und Frohnhausen für jeweils bis zu 400 Personen anzukündigen. Immerhin, kurzfristig könne man die Turnhalle Klapperstraße ihrer Bestimmung übergeben, „mittelfristig“ – was immer das heißt – sollen die beiden anderen Hallen an den Sport zurückgehen. Die Stadt plane zudem den Bau größerer Wohnheime, „weil wir dort viel besser für ein friedliches Miteinander in- und außerhalb der Einrichtungen sorgen können“.

Es könne jedenfalls, glaubt Kufen, „keine Lösung sein, die Menschen dauerhaft in Zelten und Turnhallen unterzubringen“, und dann zeigt sich der 42-Jährige bei aller Skepsis doch zuversichtlich: „Unsere Stadt hat schon schlimmere Krisen gesehen und überstanden.“ Mit Gemeinsinn und dem Willen, etwas zu erreichen, „können wir es schaffen“.

Da klatscht Omar wieder – weil die anderen ja auch klatschen.