Essen-Rüttenscheid. Holger Willert war schon bei der ersten „Spiel“ und erlebt, wie sich die Branche wandelt. Seinen 1994 eröffneten Laden hat er ins Internet verlagert.
Holger Willert laufen erste Schweißperlen über die Stirn. Unzählige Brettspiele, Bücher und Figuren müssen noch drapiert werden an seinem Stand in Halle 2. „Spiele sind ein ernstes Geschäft“, sagt Willert, während er den großen Transporter entlädt, der Stoff für unendlich viele Stunden Spielzeit enthält.
Für den 55-Jährigen beginnt am Donnerstag die schönste und gleichzeitig anstrengendste Zeit des Jahres, wenn um 10 Uhr die Türen zu den 32. Internationalen Spieltagen in der Messe öffnen. Willert ist ein „alter Hase“ im Geschäft, eröffnete seinen Spieleladen „Fantasy Encounter“ 1994 am Isenbergplatz. Als junger Maschinenbaustudent hatte er sich schon zuvor etwas in der Spielebranche dazuverdient, war 1983 auch bei der ersten Spielemesse in der mittlerweile abgerissenen alten Volkshochschule dabei. „Damals durfte noch nicht verkauft werden – die Leute konnten die Spiele ausprobieren, die Aussteller sich präsentieren“, erinnert sich Willert. Als er sich knapp zehn Jahre später ein Backgammonspiel kaufen wollte, wurde der einstige Studentenjob sein Lebensinhalt.
Paradies für Fantasy- und Spielefans
„Es kam mir in den Sinn, dass ich auch selbst Spiele verkaufen kann“, sagt Willert, der auf gut 600 Quadratmeter Fläche schließlich ein wahres Paradies für Fantasy- und Spielefans schuf. Aus der ehemaligen Girardet-Druckerei ersteigerte er einen alten und riesigen Tisch, auf dem fortan Spielbretter und -figuren statt Pausenbrote ausgepackt wurden. Fans von Rollenspielen wie „Das Schwarze Auge“, „Dungeons & Dragons“ oder Tolkiens Geschichten rund um Mittelerde fanden dort meterlange Regale mit Lektüre, darüber hinaus Unmengen an Zubehör, seltene Strategiespiele und natürlich den Austausch mit anderen Spielefans.
Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei: Vor drei Jahren hat Willert sein Ladenlokal geschlossen, konzentriert sich seither auf den Online-Handel. An der Gudulastraße hat er ein großes Lager eingerichtet, wo ihn Kunden und Spielefans auf Anfrage immer noch besuchen können. Darüber hinaus, sagt Willert, sei die Zeit des stationären Einzelhandels für inhabergeführte Spieleläden wie den „Fantasy Encounter“ vorbei. Immer mehr Spiele und nicht zuletzt der steigende Preisdruck durch Ketten und den Internetriesen Amazon hätten das Geschäft verändert. Dabei sei Amazon Freund und Feind zugleich: „Auf der einen Seite habe ich dadurch Kunden auf der ganzen Welt, beliefere sogar einen Kunden auf der Pazifikinsel Guam“, sagt Willert.
Kaum Kinder oder Jugendliche im Kundenkreis
Andererseits könnten kleinere Händler beim Preiskampf mit den Großen kaum bestehen. Ein Grund, warum sich der Spielexperte nun auch auf Raritäten spezialisiert hat: Seltene Brettspiele aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, Sammelkarten und Rollenspiel-Auflagen, die es so heute nicht mehr gibt. Entsprechend gehören Kinder oder Jugendliche kaum noch zu seinem Kundenkreis. „Die meisten meiner Kunden sind zwischen 40 und 50 Jahre alt“, schätzt Willert, „viele Kinder haben heute keine Muße mehr, sich in seitenlange Regelwerke oder Charakterbeschreibungen einzulesen.“ Seine Kunden seien eben zusammen mit dem Fantasy Encounter erwachsen geworden – die Faszination, sich stundenlang in andere Welten hineinzuversetzen, aber haben sie ebenso wie Willert nie verloren.