Essen. Das erste Flüchtlingsdorf in Essen beherbergt knapp 300 Bewohner. Bislang leben sie trotz der Enge in den Zelten friedlich zusammen.
Die Schlägerei war weit weg, die Sorge ist auch in Essen angekommen: Seit sich hunderte aufgebrachte Flüchtlinge in einem Asylheim in Kassel geprügelt haben, wird auch Sozialdezernent Peter Renzel gefragt, wie es um die Sicherheit in den hiesigen Unterkünften steht, vor allem in den Flüchtlingsdörfern. Beim Ortstermin in der ersten Zeltstadt am Altenbergshof im Nordviertel gab sich Renzel gelassen: „Solche Auseinandersetzungen haben wir hier nicht.“
Tatsächlich herrscht am Dienstagmorgen eine beschauliche Atmosphäre: Bewohner sitzen vor den Zelten, Kinder sind mit Rollern und Rädern unterwegs. Auch der Spielplatz und der Park um die Ecke würden gut angenommen, sagt Ridda Martini von der Firma European Homecare (EHC), die die Einrichtung betreut. Ehrenamtliche und Anwohner kämen auf die Flüchtlinge zu, und diese entdeckten nach einem Monat mehr und mehr ihre Nachbarschaft. „Das ist ja kein Gefängnis, die Leute können sich natürlich frei bewegen“, sagt Renzel.
So frei wie das möglich ist, wenn ein Sportplatz mit sechs Unterkunftszelten das Zuhause für gut 300 Menschen wird. 50 Plätze werden noch vergeben, dann ist das Zeltdorf voll belegt. Zwischen Stellwänden können sich Familien etwas Privatsphäre schaffen, mit ihren Habseligkeiten zwischen Betten, Spinden, Tisch und Stühlen.
So haben sich Osman Abdi und seine Frau Sawsan Al-Khalid eingerichtet, die wie gut 100 Bewohner aus Syrien stammen. Schon 2013 sei er aus seinem Dorf geflohen, seit zwei Wochen ist er nun in Essen. Was dazwischen geschah, kann Abdi nur bruchstückhaft berichten. Schon als die erste Frage übersetzt wird, treten ihm Tränen in die Augen. „Wir haben ein Haus zurückgelassen, unsere Freunde und unser Volk.“ Erst später erzählt er, dass auch zwei seiner sechs erwachsenen Kinder zurückbleiben mussten, eine Tochter und ein Sohn, 18 und 29 Jahre alt. Zwei Kinder leben bereits in Deutschland, die anderen sind mit ihm geflohen; mit Hilfe von Schleusern über die Türkei.
Abdi fühlt sich hier willkommen, der mangelnde Komfort stört ihn nicht: „Hier gibt es eine Demokratie, und wir finden Schutz unter dem Schirm des Gesetzes!“ In Syrien hat der 54-Jährige als Krankenpfleger gearbeitet, hier gibt er Bewohnern Gesundheitstipps und achtet auf die Sauberkeit im Zelt.
Nicht jeder nimmt die Situation so an wie Osman Abdi, es gibt auch Beschwerden über die Zelte, die Ausstattung. „Die Schlepper in Albanien erzählen den Leuten, hier bekomme jeder ein Haus“, ärgert sich Peter Renzel. Oft träfen Albaner mit ihrem halben Hausstand ein, während die Kriegsflüchtige bestenfalls eine Tasche dabei hätten. „Und die beschweren sich auch nicht, die sind einfach erleichtert.“
Trotzdem darf sich niemand etwas vormachen: Wenn die Sonne die Lage nicht mehr beschönigt, wenn sich das Leben von draußen in die Zelte verlagert, wird das eine Herausforderung. Noch stört es nicht, dass die Spielecke ein wenig karg eingerichtet ist. Im Moment ist es nicht schlimm, dass die Mensa nicht Platz für alle bietet: Die Leute essen zu unterschiedlichen Zeiten, und nicht alle treffen sich abends hier zu Kartenspiel oder Fernsehen.
Bei Schnee oder Schmuddelwetter wird es Gedränge geben, wird es lästig sein, zu den Duschcontainern zu laufen. Bis dahin sollen die „Kinderkrankheiten“ abgestellt sein, versoricht Martini. Die letzten Dixie-Klos werden durch WC-Container ersetzt, und eben hat man je vier Waschmaschinen und Trockner aufgestellt. Noch waschen viele Bewohner mit der Hand, flattert trocknende Kleidung an Zeltwänden.
Es ist ein fragiler Frieden, aber mit Heimen für 1500 Menschen wie in Kassel sei das Zeltdorf nicht vergleichbar, sagt Renzel. Auch kümmerten sich Sozialbetreuer darum, dass aus Alltagszwist nicht Schlimmeres werde. Christen und Muslime auf verschiedene Standorte zu verteilen, halte er für falsch. „Die Hausordnung verbietet jede Art von Religionsausübung in der Unterkunft – wir weisen auf Moscheen und Kirchen in der Umgebung hin.“
Das Zeltdorf an der Altenbergstraße in Zahlen
Im Zeltdorf an der Altenbergstraße leben 295 Flüchtlinge; 195 von ihnen sind männlich. Es gibt 211 Erwachsene und 84 Minderjährige in 184 Haushaltsgemeinschaften. Ursprünglich sollte das erste von bisher sieben geplanten/aufgebauten Zeltdörfern 400 Menschen beherbergen, nun werden es aus Platzgründen maximal 350.
Die meisten Bewohner kommen aus Syrien (103), gefolgt von Albanern (54), Irakern (38), Somalis (27), Georgiern (11), Armeniern (10), Afghanen (9) usw.
Es gibt vier Familienzelte, zwei für alleinreisende Männer: Im einen sind Albaner, im anderen Syrer — weil die es wärmer haben wollen als die Albaner. Tagsüber sind fünf Sozialbetreuer plus Leitung im Zeltdorf, nachts zwei Betreuer sowie Wachleute.