Essen. Flüchtlinge stehen morgens stundenlang vergeblich an. Die Beamten sagen, sie  hätten nicht mal Zeit, die Post zu öffnen. Ihr Amt hat sogar das Telefon abgestellt. Zwei Syrer schildern ihre Erfahrungen.

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Donnerstag, 5.00 Uhr, Ausländeramt, Schederhofstraße. Vor einer halben Stunde sind sie angekommen, die Syrer Asaad und Yasser. Jetzt, um 5 Uhr, sind schon 30 Flüchtlinge da, und erst in drei Stunden öffnet das Amt seine Türen. Nur die ersten 50 haben eine Chance, einen Beamten zu sprechen. Ein Engpass, der sich unter Asylbewerbern herumgesprochen hat. Mitten in der Nacht kommen sie deshalb zum Amt, hoffen und warten. Aktuell kümmern sich sieben Mitarbeiter um die Belange von Tausenden Flüchtlingen, sagt später ein Sachbearbeiter. Sie seien viel zu wenige.

Wer ankommt, geht zu einem jungen Mann mit Kapuzenpullover. „Die Flüchtlinge organisieren sich mittlerweile selbst“, sagt Elisabeth Kilgus. „Es gibt eine informelle Liste, in die sich morgens alle eintragen“. Die 26-Jährige begleitet ehrenamtlich Flüchtlinge bei Ämtergängen, gibt Sprachkurse im Asylheim.

Asaad steht zum siebten Mal an – er musste alle Dokuemnte abgeben

„Immer um sieben Uhr kommen Wachleute, die offizielle Wartenummern ausgeben“, so Kilgus. Die Liste der Flüchtlinge habe die Security erst nicht anerkannt. „Seit letzter Woche vergeben sie aber danach die Nummern.“ Asaad ist an diesem Tag auf Platz 12. „Der mit der Nummer Eins war bestimmt schon um drei Uhr da“, mutmaßt der 39-Jährige in einem Mix aus Deutsch, Englisch und Zeichensprache. Er lacht.

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Asaad steht an diesem Morgen das siebte Mal hier – wegen derselben Sache. Er will seinen Pass und sein Diplom abholen. Asaad sagt, er sei in Syrien Professor für Pharmazie gewesen und habe zudem eine Apotheke geführt. Seine Dokumente hatte er vor vier Monaten in Bielefeld abgeben müssen, wo er nach seiner Ankunft registriert wurde. Warum, wisse er nicht.

Aus seinem Rucksack holt er einen Brief des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dort steht, dass er seine Papiere ab sofort im Ausländeramt in Essen abholen könne. Datum der Absendung: Anfang August. „Sechs Mal war ich hier und wurde immer weggeschickt“, sagt Asaad.

Ein Wartender schläft im Sitzen vor dem Ausländeramt. Foto: Stefan Arend / Funke Foto Services
Ein Wartender schläft im Sitzen vor dem Ausländeramt. Foto: Stefan Arend / Funke Foto Services © WAZ

Der 26-jährige Yasser hat ein ähnliches Problem. Er will seinen Führerschein abholen und die Bewilligung für einen Integrationskurs. Auf die wartet er seit Wochen. „Irgendwer vom Amt hier hat Yasser gesagt, er bekomme die Bewilligung per Post vom BAMF“, erklärt Elisabeth Kilgus. Ein Irrtum, wie die junge Frau diese Woche herausfand: „Die Mitarbeiter können das Schreiben direkt hier vor Ort ausdrucken.“

6.06 Uhr: Mit Bussen, Taxis oder zu Fuß kommen immer mehr Flüchtlinge an: Männer und Frauen, jung und alt. Auch andere Migranten, die schon länger im Land sind und ein Anliegen haben, stellen sich in die Schlange – nicht alle wissen von der Warteliste. Inzwischen treffen die Mitarbeiter des Ausländeramts ein. Asaad sagt, er habe sich das Ankommen in Deutschland anders vorgestellt. „Ich dachte ehrlich gesagt, alles würde schneller gehen.“

Keine Nachtruhe: Drogen und Suff im Asylheim

Asaad, Yasser und Elisabeth Kilgus

Asaad, 39 Jahre, sagt, er sei in Syrien Professor für Pharmazie und Besitzer einer Apotheke gewesen. Studiert hat er in Moldawien – neben Arabisch spricht er auch Russisch. Sein Onkel ist in einem Zeltdorf in Trier untergebracht, sein Bruder in einer Turnhalle in Dortmund. Wenn er seinen Pass und sein Diplom hat, will Asaad seinen Universitätsabschluss in Deutschland anerkennen lassen und wieder in einer Apotheke arbeiten. Im Moment sucht er eine Wohnung.

Yasser, 26 Jahre, hat in Syrien ein Jurastudium abgeschlossen. Er hat zwei Brüder, die in einer Turnhalle in Dortmund leben.

Elisabeth Kilgus, 26 Jahre, hat in Würzburg Sonderpädagogik studiert. Im November beginnt sie ihr Referendariat an einer Düsseldorfer Schule. In der Zwischenzeit unterstützt sie Flüchtlinge beim Deutschlernen. „So kann man am sinnvollsten helfen: Wenn man mit den Menschen in Kontakt tritt und mit ihnen redet“, sagt Kilgus.

Seit vier Monaten sei er im Land, seit einem Monat warte er auf seine Papiere. Der nächste freie Platz in einem Integrationskurs: Anfang Dezember. Erst wenn er den absolviert hat, kann er in Deutschland arbeiten. Asaads größter Wunsch für die Zukunft: eine Wohnung. „Im Asylheim kann ich nicht gut schlafen“, sagt der 39-Jährige. Yasser und er lebten mit zehn weiteren Männern in einem Zimmer. Diese nähmen jede Nacht Drogen und Alkohol zu sich. Heute Nacht haben sie sich mit Scheren die Arme aufgeritzt“, berichtet Asaad. Die Polizei kontrolliere zwar. „Aber sie finden nie was.“

7.01 Uhr: Zwei Security-Leute kommen aus dem Gebäude. Sofort sind sie von einer Traube von Menschen umringt. Das Wachpersonal fragt nach der Liste. „Welche Liste?“, rufen einige. Auch ein junger Afrikaner ist empört: „Ich bin schon seit Jahren in Deutschland und brauche nur eine Info. Die Stadt sollte mal neue Leute einstellen.“ Derweil beginnt eine Security-Mitarbeiterin, die Liste vorzulesen. „Asaad A.“, heißt es irgendwann. Asaad kämpft sich durch die Menschenmasse. Kurze Zeit später ist er zurück und hält einen rosa Zettel in die Luft: „9“ steht darauf. Dann ist Yasser dran. Er hat die Nummer 10. Bis das Amt öffnet, dauert es immer noch etwa eine Stunde.

„Allen, die geflohen sind, nimmt ISIS die Häuser weg“

Yasser (links) und Assad (rechts) freuen sich mit Elisabeth Kilgus (Mitte) über ihre Wartenummer für diesen Tag. Foto: Stefan Arend / Funke Foto Services
Yasser (links) und Assad (rechts) freuen sich mit Elisabeth Kilgus (Mitte) über ihre Wartenummer für diesen Tag. Foto: Stefan Arend / Funke Foto Services © WAZ

Asaad, Yasser und Elisabeth gehen in eine Tankstelle, um sich aufzuwärmen. Bei einer Tasse Kaffee erzählen die beiden Männer von ihrer Flucht. Vor einem halben Jahr hätten sie sich in Syrien auf den Weg gemacht, die klassische Route: Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich, Deutschland. Einen Teil der Strecke sind sie zu Fuß gegangen. „Geschlafen haben wir auf der Straße oder im Wald“, berichtet Yasser. „Wir haben Flusswasser getrunken und uns von Snickers ernährt.“ Quer durchs Land seien die beiden Männer mit „Taxis“ gefahren, bis zu 13 Personen in einem Auto. Kosten pro Person und Fahrt: 2000 Euro. „Insgesamt haben wir 6000 Euro bezahlt, um nach Deutschland zu kommen“, sagt Asaad.

Warum sie ausgerechnet hierhin wollten, erklärt Yasser mit einer Übersetzungs-App auf seinem Smartphone: „Deutschland ist eines der Länder, die meisten Menschenrechte“, steht auf dem Display. Asaad ergänzt: „Das hier ist ein gutes Land für mich, mit guten Menschen. Ich kann mich hier bewegen.“

Essener Ausländeramt hat das Telefon stillgelegt

In Syrien habe die Terrorgruppe ISIS inzwischen seine Apotheke geschlossen. „Allen, die geflohen sind, nimmt die ISIS die Häuser weg, alles nehmen sie uns weg“, sagt Asaad. Er hofft, dass seine Frau und seine vier Kinder im nächsten Jahr auch kommen können.

8.20 Uhr: Zurück im Ausländeramt geht es auf einmal schnell. Ein Wachmann ruft Asaad und Yasser zeitgleich auf. Er lotst sie in einen Raum mit zwei Mitarbeitern. Asaads Papiere sind noch nicht in Essen angekommen – oder zumindest noch nicht ausgepackt. Wie der Sachbearbeiter berichtet, gibt es einen wochenlangen Postrückstau in der Schederhofstraße. Viele Briefe seien noch nicht geöffnet worden – zu wenig Personal. Asaad solle wieder kommen, in ein paar Wochen. Oder anrufen, falls das Telefon wieder funktioniert. Das hat das Ausländeramt in den vergangenen Wochen nämlich stillgelegt. Yassers Führerschein ist zwar da, aber er kann ihn nicht mitnehmen. Dafür brauche er einen Termin, sagt die junge Frau am Schreibtisch vor ihm. Der nächste freie: 11. Februar 2016.

Immerhin bekommt Yasser die Bewilligung für den Integrationskurs. Wieder draußen vor dem Amt sucht Asaad nach Erklärungen: „Ich verstehe das einfach nicht.“ Mit Yasser macht er sich zurück auf den Weg ins Flüchtlingsheim.

Am nächsten Morgen haben die beiden einen Termin im Jobcenter. Drei Wochen haben sie darauf gewartet. Arbeiten dürfen sie zwar noch nicht, aber sie haben Aussicht auf eine private Wohnung und hoffen hier, eine Bewilligung zu erhalten. Sicher ist das allerdings nicht. Aber was ist schon sicher im Leben von Asaad und Yasser.