Essen. . Der neue Aalto-Chefdramaturg Christian Schröder startet mit „The Greek Passion“ ins Amt. Ein Opernwerk mit Bezügen zur aktuellen Nachrichtenlage
Es gibt wenige Musiktheater-Stücke, die so unmittelbar mit der aktuellen politischen Lage in Beziehung zu bringen sind wie die „Greek Passion“, die am Samstag im Aalto-Theater Premiere hat. Dabei stammt das Stück von Bohuslav Martinů aus den 1960er Jahren. Es erzählt von einem Dorf, vor dessen Mauern ausgeplünderte Nachbarn erscheinen und um Hilfe bitten. Im Dorf, das gerade für ein Passionsspiel probt, stehen die christlichen Werte plötzlich auf dem Prüfstand: Ist das Boot voll oder nicht?
Für zwei neue Aalto-Mitarbeiter ist die „Greek Passion“ ein spannender Einstieg. Jessica Muirhead singt die Partie der Witwe Katerina. Und der neue Chefdramaturg Christian Schröder begleitet die erste große Produktion am neuen Haus. Schröder, der vom Stadttheater Gießen kommt, sieht das Stück als Glücksfall. „Man macht dem Musiktheater ja oft den Vorwurf, dass es sich mit abgehakten Themen beschäftigt und dann mit der Brechstange versucht, aktuelle Bezüge zu schaffen. Bei der Greek Passion ist das anders.“
Die Oper ist eine Kraftzentrale
Der Tscheche Jiří Herman inszeniert das Werk, das an dem Konflikt zwischen Landsleuten grundsätzliche Fragen fest macht: „Martinů dringt zum Kern der Flüchtlingsfrage: Was bringt uns Menschen dazu, andere Hilfesuchende abzulehnen, ihnen nicht beizustehen. Das Thema hat Gültigkeit, damals wie heute“, findet Schröder.
Der 35-Jährige ist in einer musikbegeisterten Familie groß geworden, seine musikalische Sozialisation fand am Dortmunder Opernhaus unter John Dew statt, bekannt für provokante Arbeiten. „Da gab es viel Krawall, und ich habe keinen ,Freischütz’ gesehen, der im grünen Wald gespielt hat. Es hat mich trotzdem gepackt. Für mich ist wichtig, dass eine Regie dem Geist eines Stückes entspricht“, so Schröder. Nach dem Abitur hat er Komparatistik, Philosophie und Romanistik studiert. Doch die Oper hat ihn nicht losgelassen. „Dieses Live-Erlebnis kann Gefühle freisetzen, vor denen wir im alltäglichen Leben Angst haben.
Die Oper ist eine Kraft- und Gefühlszentrale, wo wir einen Teil von uns selbst erleben können, den wir sonst verschließen“, zeigt sich der Strauss-Liebhaber überzeugt. Dabei gehört er mit 35 Jahren zu der Generation, die mit Kindern und Karriere mehr beschäftigt ist als mit Tosca und Aida. „Wir müssen innovative und Spaß machende Formate finden, mit denen wir auch Jüngere gewinnen“, hat sich Schröder vorgenommen. So kann er sich vorstellen, „die Sänger präsenter zu machen“. Außerdem wird es zu allen „Greek Passion“-Vorstellungen der Spielzeit jeweils eine halbe Stunde vor Beginn eine Werkeinführung geben.
„Wichtig ist, dass ich auf der Bühne Figuren erlebe, deren Emotionen ich verstehe, ob sie nun im Reifrock dastehen oder im Kostüm“, sagt Schröder. Und wenn Musiktheater gesellschaftlich relevant sein wolle, dürfe das auch ruhig mal zu Kontroversen führen. „Lauwarmer Applaus ist doch schlimmer als ein Buhgewitter.“
Jessica Muirhead freut sich auf Traumspielzeit
Jessica Muirhead ist der sympathische Gegenentwurf zur Diva früherer Tage: temperamentvoll, nahbar, und mit einem fröhlichen Lachen ausgestattet. Dabei ist die englisch-kanadische Sängerin in ihrer ersten Spielzeit im Aalto vor allem die Frau fürs tragische Fach: Mit „Donna Anna“, „Vióletta“ und „Mimi“ übernimmt sie gleich drei große Opern-Figuren, vor allem aber freut sich die 34-Jährige auf die „Marguerit“ im „Faust“, der 2016 im Aalto Premiere hat. „Eine Traumspielzeit“, seufzt Muirhead selig. Und sie beginnt auch gleich mit einer großen Rolle in der „Greek Passion“, in der Muirhead die Witwe Katerina spielt. Eine Rolle, die in diesen Tagen unter die Haut geht, buchstäblich. „In einer Szene kommen die Flüchtlinge und halten meine Hand. Bei jeder Probe bekomme ich Gänsehaut“, erzählt die Sopranistin, die Frauenrollen wie die der Katerina schätzt: äußerlich stark, aber innerlich ungeschützt, und irgendwie heutig.
An der Semperoper und der Wiener Volksoper hat Muirhead schon reüssiert, in Essen freut sie sich vor allem auf das große Repertoire. Deutschland ist für sie ohnehin Heimat, seit sie einige Zeit in Helmut Rillings Bachakademie gesungen hat. „Danach hatte ich das Gefühl: Musik kann mein Leben sein.“ In Kanada, lacht Muirhead, wo es die deutsche Operntradition nicht gibt, fragen Freunde heute noch: „Du bist Sängerin, o.k. Aber was macht du in Wirklichkeit?“
Karten und Termine: 0201-8122-200.