Essen. Deutschsprachige Erstaufführung von „Frankenstein“ im Grillo-Theater. Gustav Rueb entdeckt in dem Stück nach dem Roman von Mary Shelley zeitlose Fragen
Hinter einem Vorhang verbergen sich offene Kästen für das menschliche „Material“ und eine Liege. Es ist das Labor des von Forscherdrang getriebenen Schweizers Doktor Frankenstein, der aus Leichenteilen ein lebendes Wesen baut. Thomas Meczele spielt ihn. Um ihn herum turnt Janina Sachau als sein ermordeter Bruder William und löchert ihn: „Wie machst du tote Dinge wieder lebendig? Ist es leicht?“ „Nein, es ist schwer“, antwortet er. „Es ist eine Art Wunder.“ Dann nimmt das Drama seinen Lauf, für das Nick Dear zeitlose Fragen aus Mary Shelleys berühmtem Roman von 1818 herauskristallisiert hat: Kann ein Mensch ein Gott sein, lautet eine.
Regisseur Gustav Rueb probt „Frankenstein“, das in deutschsprachiger Erstaufführung die Saison am Grillo-Theater eröffnet. Und er wurde wohl nicht für die Inszenierung angefragt, weil ihn die Geburt in der Schweiz mit der Figur des Frankenstein verbindet. Eher, weil seine Inszenierungen als vielschichtig und sinnlich gelten. „Sinnlichkeit ist mir sehr wichtig und über menschliche Beziehungen zu erzählen“, so Gustav Rueb.
Über die heutige Zeit nachdenken
Aus Zürich kommt er ursprünglich und wurde von seiner kulturell agierenden Familie motiviert - der Vater war in den 1970er Jahren Dramaturg an der Schaubühne. Früh entstand der Wunsch, Regisseur zu werden. Er ging nach Berlin in der politisch brisanten Wendezeit. Die Assistenzen bei Klaus Michael Grüber und am Düsseldorfer Schauspielhaus nennt er prägend. Seither stellt er sich immer wieder die Aufgabe, „über die Zeit, in der man lebt, nachzudenken“. Im Sprech- wie im Musiktheater. In aktuellen Stücken wie in Klassikern. In Dresden wie in Kassel.
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Und nun in Essen. „Ich habe angebissen, weil hier die richtigen Schauspieler für die Hauptrollen sind“, so der 40-Jährige. Thomas Meczele und Axel Holst, der das Wesen verkörpert, sind ihm durch andere Arbeiten vertraut. Doch der Stoff und sein Potenzial waren dem Kino-Liebhaber weitgehend fremd. „Ich kannte nur den Kopf von Boris Karloff mit den Schrauben im Hals, der wie ein zeitgenössischer Mythos ist.“
Albtraumvilla mit Gothic-Atmosphäre
Der ins kollektive Gedächtnis gebrannte Gruselschocker von 1931 wurde noch unzählige Male verfilmt, weit weniger auf die Bühne gebracht. Da verfehlte Nick Dears klug wie dicht am Original operierende Fassung, die 2011 Regisseur Danny Boyle („Slumdog Millionär“) in London mit dem Star Benedict Cumberbatch uraufführte, ihre Wirkung nicht. „Sie geht auf moralische Fragen ein und ist sehr spannend, kein intellektueller Diskurs“, meint Gustav Rueb.
Zeitlos gruselig
Nach fast 200 Jahren feiert „Frankenstein“ erneut seine Wiedergeburt mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Nick Dears Fassung. Die Premiere am Samstag (19. September) im Grillo-Theater ist ausverkauft.
Gustav Rueb schätzt seine Regiearbeit als „nicht sehr blutig“ ein. „Allerdings finde ich die Inszenierung nicht für Kinder geeignet. Nicht unbedingt wegen expliziter Dinge, sondern wegen der Grausamkeit des Themas“, so Rueb an anderer Stelle.
Für Jugendliche ab 15 Jahren empfiehlt das Schauspiel Essen die Produktion.
Karten/Termine: 0201/8122 200.
In einer Albtraumvilla mit Gothic-Atmosphäre ist seine Inszenierung angesiedelt, aber auch alle anderen Orte der Handlung hält die Bühne in einer Mischung aus 19. Jahrhundert und Gegenwart bereit. Erzählt wird lange aus der Perspektive der Kreatur von seiner Entwicklung zum denkenden, fühlenden Wesen, seiner Vertreibung aus der Gesellschaft und seiner tödlichen Rache, dann von dem Kampf mit seinem Schöpfer. „Emotional und direkt“ soll das geschehen, mit Psychoakustik und dem Transfer ins Heute. „Von der Erschaffung eines künstlichen Menschen sind wir nicht mehr weit entfernt“, sagt Gustav Rueb. Deshalb pocht Frankenstein mit Originalzitaten von lebenden Wissenschaftlern darauf, dass man sich von Moral nicht aufhalten lassen darf. Die Frage, wer Mensch und wer Monster ist, steht im Raum. „Du und ich“, sagt die Kreatur, „wir sind eins.“ Wenn das nicht gruselig ist.