Essen. . Längst wissen nicht nur Einheimische, wie angenehm man in den alten Bergarbeitersiedlungen von Essen-Karnap leben kann.

Es gab Zeiten, da konnte man in der Matthias-Stinnes-Siedlung für kleines Geld ein altes Bergmannshaus kaufen. Das ist lange vorbei, wer hier heute heimisch werden will, der muss deutlich tiefer in die Tasche greifen. Karnap ist zwar der nördlichste Essener Stadtteil, und Norden ist in Essen eine Himmelsrichtung, die mancher prekär findet. Aber es hat sich herumgesprochen, dass man in Karnap gut leben kann.

Einer, der aus Karnap nicht mehr weg will, ist Turgay Tahtabas. Vor neun Jahren zog der gebürtige Türke mit seiner Frau und drei Kindern in eines der Zechenhäuser und baute es nach und nach mit viel Eigeninitiative und der Hilfe von Nachbarn zu einem Schmuckstück um. „Das ist typisch für unsere Siedlung“, sagt sein Freund Michael Schwamborn, der ebenfalls hier lebt. „Wir halten zusammen und sind eine richtig gute Gemeinschaft“, ergänzt Tahtabas. Bei mindestens acht Nationen ist das durchaus beachtlich: Polen, Spanier, Italiener, Russen, Türken, Araber und Deutsche fallen dem 49-jährigen Tahtabas ein, der persönlich so etwas wie ein Musterbeispiel gelungener Integration ist.

Mehr ein großes Dorf als ein Stadtteil

1989 kam der Sohn eines Lehrers aus der Türkei nach Essen – übrigens der Liebe wegen, seine Frau lebte bereits hier. Einen Job fand er beim Stadtamt 70, der Müllabfuhr, die später in den Entsorgungsbetrieben aufging. Tahtabas war und ist einfacher Müllwerker, arbeitete viele Jahre auch in den schweren Kellerrevieren. Für einen gewandten, ausgebildeten Hotelfachmann nicht gerade ein Traumjob. Doch Tahtabas ist zufrieden, lebte seinen Bildungshunger privat aus und ist schon lange ehrenamtlich engagiert in Elternvereinen, die sich um den Bildungserfolg benachteiligter Kinder und Jugendlicher kümmern. Nicht zuletzt verwirklichte Tahtabas den klassischen Einwanderertraum: Den Kindern soll es dank Bildung einmal besser gehen. So kam es. Alle drei machten Abitur, studieren und sind dabei, sich beruflich zu etablieren. Zum großen Stolz der Eltern.

Natürlich hätte das auch anderswo als in Karnap so kommen können. Aber das spezielle Klima in diesem bodenständigen, sozialdemokratisch geprägten und dabei bürgerlichen Stadtteil hat das vermutlich befördert. Wenn man mit Tahtabas und Schwamborn durch Karnap läuft, wird das Miteinander spürbar. Karnap ist mehr ein großes Dorf als ein Stadtteil: Man kennt sich, man schätzt sich, man hat Zeit für ein Schwätzchen, und Turgay Tahtabas gehört ganz selbstverständlich dazu.

31 verschiedene historische Haustypen

Mehrere Straßenzüge umfasst die Siedlung Matthias Stinnes, einige so original erhalten, dass man ohne weiteres einen Bergarbeiterfilm um 1900 drehen könnte – nur die Autos müssten weg, und den Asphalt müsste man mit Lehm verdecken. Von Monotonie übrigens keine Spur: 31 verschiedene historische Haustypen hat Michael Schwamborn gezählt. Er ist Vorsitzender der 800 Mitglieder starken Mieter- und Eigentümer-Initiative ist und sitzt für das Essener Bürgerbündnis (EBB) im Rat der Stadt.

Gerät zur Zähmung von Pferden

Die Wappengeschichte Karnaps beginnt im 14. Jahrhundert mit dem Wappen der Familie von Carnap – so schrieb sich die ehemalige Bauernschaft übrigens noch bis 1910. Der ländliche Hintergrund erklärt auch das Wappen, das eine silberne Pferdeprame mit silberner Schnur zeigt - ein recht brutales Gerät zur Zähmung von Wildpferden, die im alten Emscherbruch nicht selten waren. Ab 1808 gehörte Karnap der Bürgermeisterei Altenessen an. Bei der Eingemeindung Altenessens nach Essen wurde Karnap 1915 für kurze Zeit selbstständig, um 1929 dann doch zu Essen zu kommen.

Typisch sind die großen, langgezogenen Gärten, mit deren Hilfe Bergmannsfamilien früher die schmale Kost aufbesserten und die heute hinter den modernen Reihenhäusern so selten, weil fast unbezahlbar geworden sind. Natürlich dienen die alten Gärten inzwischen überwiegend der Erholung, aber Familie Tahtabas baut nach alter Art Gemüse und Obst an, darunter Exotisches wie Feigen und Maulbeeren, die hier erstaunlich gut gedeihen.

Essener Stadtteilwappen und ihre Bedeutung

(31) Überruhr (Hinsel und Holthausen) : In Urkunden des Stiftes Rellinghausen wurden die Bauernschaften Hinsel und Holthausen früher „Over Rore“ genannt, was so viel bedeutet wie „auf der anderen Seite der Ruhr“. Das Wappen deutet auf die Ruhr hin. Ebenso ist ein Kreuzschargen abgebildet, ein glücksbringendes, germanisches Zeichen, das auf die zahlreichen Bodenfunde in diesem Bereich deutet. Seit 1808 gehörte Überruhr zur Bürgermeisterei Steele, 1894 entstand die eigenständige Bürgermeisterei Überruhr. Die Eingemeindung folgte 1929.  Quelle: Kurt Schweder/ Stadtverband
(31) Überruhr (Hinsel und Holthausen) : In Urkunden des Stiftes Rellinghausen wurden die Bauernschaften Hinsel und Holthausen früher „Over Rore“ genannt, was so viel bedeutet wie „auf der anderen Seite der Ruhr“. Das Wappen deutet auf die Ruhr hin. Ebenso ist ein Kreuzschargen abgebildet, ein glücksbringendes, germanisches Zeichen, das auf die zahlreichen Bodenfunde in diesem Bereich deutet. Seit 1808 gehörte Überruhr zur Bürgermeisterei Steele, 1894 entstand die eigenständige Bürgermeisterei Überruhr. Die Eingemeindung folgte 1929. Quelle: Kurt Schweder/ Stadtverband © „Kurt Schweders Wappen der Essener Stadtteile“ von Johann Rainer Busch, ISBN: 978-3-00-028515-8; Herausgeber ist der Stadtverband der Bürger- und Verkehrsvereine.
(42) Werden: Im Januar 799 gründete der heilige Ludgerus das Benediktinerkloster Werden. Die Äbte waren die Landesherren, 1317 erhielt Werden gar die Stadtrechte und blieb bis 1803 reichsfreies Stift. Ab 1808 selbstständige Bürgermeisterei, wurde Werden erst 1929 eingemeindet. Das Wappen zeigt ein mit vier roten Kugeln besetztes Pallium – ein Schulterschmuck, der Erzbischöfen oder heilig gesprochenen Bischöfen vom Papst verliehen wurde.  Quelle: Kurt Schweder/ Stadtverband
(42) Werden: Im Januar 799 gründete der heilige Ludgerus das Benediktinerkloster Werden. Die Äbte waren die Landesherren, 1317 erhielt Werden gar die Stadtrechte und blieb bis 1803 reichsfreies Stift. Ab 1808 selbstständige Bürgermeisterei, wurde Werden erst 1929 eingemeindet. Das Wappen zeigt ein mit vier roten Kugeln besetztes Pallium – ein Schulterschmuck, der Erzbischöfen oder heilig gesprochenen Bischöfen vom Papst verliehen wurde. Quelle: Kurt Schweder/ Stadtverband © „Kurt Schweders Wappen der Essener Stadtteile“ von Johann Rainer Busch, ISBN: 978-3-00-028515-8; Herausgeber ist der Stadtverband der Bürger- und Verkehrsvereine.
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Straßen, denen man Konflikte und Vernachlässigung ansieht

Mit der Integration klappt es allerdings nicht bei jedem so gut, auch die Arbeitslosigkeit ist ruhrgebietstypisch hoch, und es gibt Karnaper Straßen, denen man Konflikte und Vernachlässigung ansieht. Ein Fehlschlag war laut Schwamborn etwa die Ansiedlung von teils dubiosen Gebrauchtwagenhändlern auf dem alten Bahngelände an der Boyer Straße. Das sei gut gemeint gewesen, um den wilden Automarkt zu kanalisieren, aber leider gebe es dort nun manchmal im Tagesrhythmus Razzien und Festnahmen.

Karnap ist schön, aber natürlich keine reine Idylle. Solange es tatkräftige Stadtteilpatrioten wie Tahtabas und Schwamborn gibt, muss man sich aber wohl keine allzu großen Sorgen machen. Läuft schon!

Karnap in Zahlen

Mittelgroßer Stadtteil

397 Hektar groß ist Karnap und gehört damit zu den mittelgroßen Essener Stadtteilen. Allerdings hat kein anderer eine so exponierte Lage und stößt an gleich drei Nachbarstädte an: Bottrop, Gladbeck Gelsenkirchen.

Über 7000 Einwohner

7774 Karnaper gab es Ende 2014.

Ein jüngerer Stadtteil

Mit einem Durchschnittsalter von 42,96 Jahren ist Karnap im Essener Vergleich ein jüngerer Stadtteil - Rellinghausen führt hier mit 50,36, das Nordviertel hat mit 37,54 Jahren die jüngste Bevölkerung. Der Altersdurchschnitt lässt sich an einer Faustregel festmachen: je mehr Migranten, desto jünger.

Hoher Anteil an Einfamilienhäusern

19,6 Menschen leben im Schnitt auf einem Hektar Karnaper Grundfläche, und pro Hektar der bebauten Fläche sind es 40,7. Beide Zahlen liegen klar unter dem Essener Schnitt und lassen auf einen hohen Anteil an Einfamilienhäusern schließen, was ja auch zutrifft.

Viel Erholungs- und Freiflächen

Je 1000 Einwohner besitzt Karnap 13,2 Hektar Erholungs- und Freiflächen, was im Stadtvergleich recht viel ist. Große Flächen wie der Bräuckerwald oder der Emscherpark fallen hier ins Gewicht. Deutlich mehr Freifläche haben natürlich dünn besiedelte, agrarisch geprägte Stadtteile wie Byfang oder Fischlaken, aber die sind kein Maßstab. 1000 Rüttenscheider müssen sich jedenfalls trotz Grugapark mit 3,1 Hektar begnügen.

So hat Karnap gewählt

23,8 Prozent der Stimmen hat das Essener Bürgerbündnis (EBB) bei der Kommunalwahl 2014 erhalten - so viel wie in keinem anderen Essener Stadtteil. Auch dies eine Karnaper Besonderheit, die vor allem mit dem hier verwurzelten EBB-Chef Udo Bayer zusammenhängen dürfte. Die SPD, die früher bis zu 70 Prozent erhielt, war mit 43,2 Prozent aber immer noch klar stärkste Kraft in Karnap. Die CDU kam nur auf 14,3 Prozent.

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