Neuanfang nach Folkwang-Eklat: Die Literarische Gesellschaft Ruhr e.V. will Austausch und Initiativen fördern und renommierte Lese-Reihe fortführen

Zu den Konstanten der Ruhrgebiets-Literatur gehörte bislang eine bestimmte Heimatlosigkeit, die stete Suche nach Orten, Publikum und Anlaufstellen für das literarische Leben in der Region. Der renommierten Lese-Reihe von „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr und der Essener Buchhändlerin Beate Scherzer ist es lange nicht anders ergangen. Die Reihe, die Weltstars von Günter Grass bis Imre Kertesz, von Cees Nooteboom bis Herta Müller nach Essen geholt hat, war schon an unterschiedlichen Orten zu Hause, darunter im Grillo-Theater und zuletzt wieder im Museum Folkwang. Dort endete die fünfjährige Kooperation im vergangenen Herbst mit einem Eklat, als Museums-Chef Tobia Bezzola der bewährten „Literatur im Folkwang“ eigenmächtig ein Ende setzte und erklärte, die von der Alfred und Cläre Pott-Stiftung zur Verfügung gestellten Fördermittel künftig wieder für Kunstankäufe verwenden zu wollen.

Wie so oft im Leben kommt doch alles anders. Mit der festen Zusage der Alfred und Cläre Pott Stiftung, selbige Förderung in Höhe von jährlich 12 000 Euro auch in den nächsten drei Jahren der Literatur zukommen lassen zu wollen, stellen Norbert Wehr und Beate Scherzer ihre gemeinsame Lese-Reihe nun auf eigene Beine. Und geben der Literatur im Ruhrgebiet zumindest ein ideelles Dach.

Denn ab sofort gibt es die „Literarische Gesellschaft Ruhr e.V. “. Ein Verein, der die langjährige Tradition der anspruchsvollen Autoren-Lesungen fortführen möchte, der Vorträge und Diskussionen, Workshops und Exkursionen, Residenzen und literarischen Austausch plant. Und damit manches von dem realisieren könnte, was einige gern in Form eines Literaturhauses Ruhr verwirklicht sähen.

Initiativen statt Immobilien

Für den hoch geschätzten und 2010 mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichneten Norbert Wehr, der die knappen Mittel lieber in literarische Initiativen als in kostspielige Immobilien investieren möchte, ist die Literarische Gesellschaft ein Zukunftsmodell. Eine Plattform, „die unterschiedliche Initiativen aus der Region aufnimmt, Projekte möglich macht und auch bei Anträgen helfen kann“, erklärt Wehr. Eine Schaltstelle des literarischen Lebens, die keine feste Adresse braucht.

Mehr Infos

Wer Mitglied der Literarischen Gesellschaft Ruhr werden will, zahlt einen Jahresbeitrag von 60 Euro (Einzelperson). Institutionen, Firmen, Vereine zahlen 180 Euro, Schüler, Studenten, Azubis 30 Euro.

Beitrittserklärungen liegen in der Buchhandlung Proust Wörter und Töne aus. Neben Informationen über das literarische Leben im Ruhrgebiet sind Vorträge, Diskussionen, Exkursionen, Ausstellungen im Angebot.

So soll das Gros der Veranstaltungen zwar künftig in der von Beate Scherzer und Peter Kolling geführten Buchhandlung „Proust Wörter und Töne“ über die Bühne gehen, gleichzeitig gibt es aber auch größere Alternativspielstätten wie die Kreuzeskirche und das Forum Kunst und Architektur.

Nur eines möchte man nach der Folkwang-Absage nicht mehr: abhängig sein von einem einzigen Gastspielort und dem Gutdünken der jeweiligen Betreiber.

Immerhin haben die Zerwürfnisse des vergangenen Jahres der Literatur-Reihe nicht nur viel Sympathie und Rückenwind beschert (über 50 Lesefreunde haben schon Interesse an einer Mitgliedschaft erklärt), sondern die Organisatoren noch einmal in ihrer Arbeit bestärkt. Der Schwung, mit dem neuem Projekt weiterzumachen, und gleichzeitig auch die Absicht, jüngere Mitstreiter und mögliche Nachfolger zu finden, haben nun zur Gründung der Literarischen Gesellschaft geführt. Kooperationen sind fest beabsichtigt, mit noch nicht so etablierten Veranstaltern wie dem Café Livres, aber auch mit Kirchen, Kinos, Schulen, Theatern und Museen.