Essen. . Sozialdezernent Peter Renzel über die gegenwärtige und künftige Pflegesituation in der Stadt, Altersarmut und alternative Wohnformen für Senioren.

Nahezu jeder vierte Essener ist inzwischen älter als 65, schon 2020 werden die Älteren in der Stadt in der Überzahl sein. Damit wird auch die Zahl derjenigen Bürger wachsen, die auf Pflege angewiesen sind (derzeit sind es circa 19.000). Wie gut ist die Stadt Essen für die Versorgung älterer Menschen gerüstet? Wird es in Zukunft genug Pflegeeinrichtungen geben? Darüber sprach Vera Eckardt mit dem Sozialdezernenten Peter Renzel.

Was sind in naher Zukunft für die Stadt die größten Herausforderungen in Bezug auf die Pflege?

Peter Renzel: Durch die hohe Arbeitslosenquote und die dadurch bedingte unterbrochene Erwerbsbiografie wird die Altersarmut in Essen steigen. Und damit auch die Zahl derjenigen, deren Rente durch eine Grundsicherung vom Sozialamt aufgestockt werden muss. Diese Kosten werden auf die Stadt zukommen und im Falle einer Pflegebedürftigkeit noch steigen. Das wird finanziell eine große Herausforderung für uns.

Gibt es für die Stadt überhaupt eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun?

Renzel: Wir müssen sehr viel in die Prävention investieren. Denn je aktiver und fitter unsere Senioren sind, desto gesünder bleiben sie und umso später benötigen sie Pflege.

Pilotprojekt in Steele unterstützt Senioren

Mit dem „Netzwerk Naehe“ hat die Stadt gemeinsam mit Partnern ein Projekt in Steele gestartet, mit dem Ziel, Senioren durch individuelle Unterstützung den Alltag in den eigenen vier Wänden zu erleichtern.

Derzeit 40 Partner – vom Lieferservice für Bargeld, Bücher oder Essen bis zur hauswirtschaftlichen Hilfe – sind dem Netzwerk beigetreten.

Das ist allerdings kein Garant für ein gesundes selbstbestimmtes Leben bis zum Tod.

Renzel: Nein, das weiß ich auch. Deswegen haben wir einen Seniorenförderplan erstellt, den wir noch in diesem Jahr veröffentlichen werden. Wir brauchen mehr Angebote in den Stadtteilen, mit dem Ziel, dass Senioren möglichst lange selbstständig in ihren eigenen vier Wänden leben können. Wir wollen früh erkennen, wer Unterstützung braucht, um früh zu intervenieren. Und wir wollen die sozialen Kontakte fördern und damit eine Kultur des Hinsehens. Ein gutes Beispiel dafür ist das Pilotprojekt Naehe in Steele (siehe Infokasten), das wir auch auf andere Stadtteile ausweiten wollen.

Derzeit haben wir circa 70 Pflegeheime in Essen. Wird diese Zahl in Zukunft ausreichen?

Renzel: Das klassische Altenheim hat meiner Meinung nach ausgedient. Deswegen benötigen wir keine weiteren herkömmlichen Pflegeheime, sondern wir brauchen neue alternative Wohnformen wie betreutes Wohnen, Alten- und Pflege-WGs oder Mehrgenerationenprojekte. Da haben wir einen Nachholbedarf. Aber das werden wir als Stadt lenken, in dem wir entsprechenden Einfluss auf die Investoren nehmen.

Aber Wohnen im Alter muss auch bezahlbar bleiben.

Renzel: Wir machen uns viel Gedanken darüber, wie die Menschen in unserer Stadt im Alter leben wollen. Dazu gehört auch das Thema bezahlbarer Wohnraum. Da bin ich erstmal optimistisch. Denn die Investoren schauen ja auch auf den Markt und werden sich danach richten, um ihre Objekte vermietet zu bekommen.

Neben den Pflegebedürftigen wird zukünftig auch die Anzahl der benötigten Fachkräfte steigen. Wie sind wir in Essen aufgestellt?

Renzel: Derzeit haben wir keinen ausgewiesenen Fachkräftemangel, da geht es uns in Essen besser als dem Land. Aber wir wissen, dass der Nachwuchs fehlt, Alter und Pflege sind Themen, die die Jugend nicht so sehr interessieren. Da müssen wir als Stadt gegensteuern mit besserem Marketing und mehr Information.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie stellen Sie sich Ihr Leben im Alter vor?

Renzel: Auf jeden Fall möchte ich so lange es geht in meinen eigenen vier Wänden leben. Am liebsten mit guten Freunden zusammen in einem großen Haus, als Alten-WG.