Essen. . Kettwigs Altstadt ist ein Touristenmagnet. Doch modernes Wohnen an der Ruhr wird wichtiger. Ein Rundgang mit Daniel Behmenburg – in Folge 7 der Stadtteil-Serie „60 Minuten in...“.

Kettwig ist der Stadtteil in bester Lage an der Ruhr, umgeben von Feldern und am Fuß der Ruhrhöhen mit direkter Anbindung ans Bergische Land. Eine putzige Altstadt mit sorgsam restaurierten Fachwerkhäusern. Postkartenidylle und Touristenmagnet.

Daniel Behmenburg nennt Kettwig „mein Dorf“. Im besten Wortsinne, wie er betont. Wir begleiten ihn an diesem Morgen auf seinem „Entspannungsspaziergang“. Der ist immer dann dran, wenn der Tag hektisch war. Der 36-Jährige sitzt für die SPD in der Bezirksvertretung, arbeitet im Düsseldorfer Landtag, studiert Jura und engagiert sich seit ewig und drei Tagen bei den Pfadfindern.

„Ich mag diese dörfliche Atmosphäre, das Familiäre“

Treffpunkt Alter Bahnhof

Der Alte Bahnhof Kettwig an der Ruhrtalstraße ist zum Bürger- und Begegnungszentrum des Stadtteils geworden. Das Bahnhofsgebäude – Haltepunkt der S6 – stand 20 Jahre lang leer und verfiel zusehends. Erst durch die Initiative engagierter Bürger und die Unterstützung vieler Sponsoren konnte die Sanierung gestemmt werden. Drei Jahre dauerte der Umbau – im April 2003 wurde das Haus eröffnet. Die Interessengemeinschaft Bahnhof Kettwig übernahm damals die Bauherrenverantwortung und organisierte den Umbauprozess. Noch heute ist der Verein Träger des Alten Bahnhofs.

Noch schnell einen Coffee to go auf der Bruchsteinmauer neben der Evangelischen Kirche am Markt. Unterhalb liegt der Biergarten der „Stiege“, sein Stammlokal. Man hat einen weiten Blick über die Dächer der Ruhrstraße, bis zum Stausee und nach Vor der Brücke. Eine Drehung um 180 Grad, und man ist mittendrin. Heute ist Markttag und ein großes Problem ist erkennbar. „Wir haben zu wenig Parkplätze hier. Aber die Politik arbeitet an einem Konzept.“ Die Plätze vor den Cafés entlang der Hauptstraße sind alle besetzt. „Ich mag diese dörfliche Atmosphäre, das Familiäre. Ich brauche das zum Runterkommen.“ Und er mag auch, „dass man kaum einen Meter gehen kann, ohne ein Schwätzchen zu halten“.

Der letzte Teil der Hauptstraße ist Fußgängerzone. Den mag er besonders, kann nur nicht verstehen, „dass so viele Autos hier durchfahren. Das stört“. Weiter in Richtung Ruhr. Die Brandgassenstiege hinunter zum Leinpfad. Entlang der Treppe ein Blumenmeer. „Das ist auch typisch Kettwig. Die hat ein Anwohner gepflanzt. Ehrenamtlich, weil es ihm Spaß macht.“

Wunsch nach mehr Leben in den Abendstunden

Die Ruhr ist spiegelglatt, der Leinpfad verlassen. Das ist an den Wochenenden anders. Spaziergänger, Skater, Radfahrer teilen sich mehr oder weniger friedlich den Platz. „Es ist gut, dass so viele Touristen nach Kettwig kommen. Aber es wäre auch wichtig, dass der Handel davon profitiert. Die meisten Besucher bleiben an der Ruhr hängen und kommen nicht nach oben. Dahin, wo die Geschäfte sind.“

Und ein bisschen mehr Leben würde er sich in den Abendstunden wünschen. „Das Angebot an Kneipen ist nicht mehr so groß wie früher, aber wir haben eine gute Mischung. Ob die Kettwiger lieber woanders hingehen oder zu Hause bleiben, kann ich nicht einschätzen. Sicherlich ist auch Rüttenscheid ein Ziel, aber da ist der Rhythmus ein ganz anderer, und mir ist es zu unpersönlich.“

Zwei große Wohnbauprojekte

Familie Scheidt prägt Stadtteil nach wie vor

1681 startete Godefridus Scheidt eine Tuchmacherei in Kettwig. Mehr als 300 Jahre prägten er und seine Nachfahren mit innovativem Unternehmertum den Stadtteil. Auch heute noch ist die Familie Scheidt in Kettwig sehr präsent. In den Scheidtschen Hallen zwischen Ringstraße und Kettwiger See, wo früher Wolle zu Kammgarn verarbeitet wurde, ist das KreativQuartier entstanden. Es sollen Büros, Werkstätten, Ateliers, ein Coworking Space, Gastronomie und Veranstaltungsbereiche entstehen.

Am Mühlengraben vorbei, nach rechts in die Ruhrstraße. Mittendrin hat er seine Wohnung. Den Hexenberg hoch. Links ein Spielplatz, der „total gut angenommen wird“.

Kettwig ist auch Strukturwandel. Mit der „Seepromenade“ und dem „Ruhrbogen“ verändern zwei große Wohnbauprojekte in bester Wasserlage das Bild des Stadtteils. Vermietung und Verkauf der Wohnungen und Stadthäuser laufen gut. Diese Veränderung stößt bei vielen Kettwigern auf Kritik. „Das ist Meckern auf hohem Niveau“, sagt Daniel Behmenburg. „Vorher waren dort eine Industriebrache und alte Hallen. Natürlich wird sehr massiv gebaut, aber jeder Investor muss auch zwei, drei Euro verdienen.“ Mehr Kopfschmerzen bereitet ihm die Entwicklung in Kettwigs Schmachtenbergviertel, „denn immer, wenn dort eine Villa abgerissen wird, kommt gleich ein klobiges Mehrfamilienhaus hin“.

Seelenloser Platz vor dem Rathaus

Adler, Fluss und Brücke

Das Wappen der ehemaligen Stadt Kettwig stammt von Wolfgang Pagenstecher. Der Kunstmaler und Heraldiker schrieb dazu im Juli 1937: „Die Wellen deuten auf die Ruhr hin, und die Brücke ist jener Übergang über den Fluss, der einem früher selbstständigen Stadtteil jenseits der Ruhr den Namen ,Kettwig vor der Brücke’ gab. Der silberne Doppeladler in Blau stand im Wappen der ehemaligen Reichsabtei Werden, zu welcher Kettwig bis zur Auflösung der Abtei 1803 gehörte. Er stammt - jedoch in abgeänderten Farben - aus dem Wappen des alten Deutschen Reiches.

Abends geht er gern mal ein Bierchen trinken. Kettwig lässt ihn aber auch dann nicht los. Es wird viel diskutiert, wahrscheinlich auch darüber, wie man den seelenlosen Platz vor dem Rathaus umgestalten kann. Die Bezirksvertretung hat dazu schon einen Arbeitskreis gebildet. Und Daniel Behmenburg macht sich Gedanken.

Die „Entspannungsrunde“ ist beendet. In einer Hofeinfahrt an der Hauptstraße spielt Orgel’s Jupp. Im Café nebenan sitzen der Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins und ein ehrenamtlicher Bürgerbusfahrer. Daniel Behmenburg bleibt noch. Auf einen Kaffee.

Kettwig in Zahlen und im Stadtteil-Vergleich

Bei der Größe auf dem ersten Platz

15,3 Quadratkilometer ist Kettwig groß – und damit liegt der Stadtteil in Essen auf dem ersten Platz. Das Umland Kettwigs ist geprägt von landwirtschaftlich genutzten Flächen und Waldgebieten.

Relativ konstante Einwohnerzahl

17493 Menschen lebten Ende 2014 in Kettwig. Die Einwohnerzahl ist damit über die Jahre relativ konstant geblieben. 2006 waren es 17797.

11,4 Menschen auf einem Hektar

Thema Einwohnerdichte: In Kettwig leben 11,4 Menschen auf einem Hektar - im Essener Vergleich ist das sehr wenig, am wenigstens dicht besiedelt ist aber der Nachbarstadtteil Schuir mit 2,2 Einwohnern pro Hektar.

Mehr Frauen

52,9 Prozent der Kettwiger sind weiblich.

Knapp ein Drittel ist älter als 65 Jahre

Knapp ein Drittel der Einwohner ist älter als 65 Jahre. Nur in Werden (29,6 Prozent) und Rellinghausen (30,7 Prozent) leben noch mehr ältere Menschen. 14 Prozent der Kettwiger sind jünger als drei Jahre - in Zahlen: 342 Kleinkinder leben in Kettwig.

Staatsangehörigkeit

10,1 Prozent der Kettwiger haben eine doppelte oder ausländische Staatsangehörigkeit. Im Essener Durchschnitt sind es 23,2 Prozent.

Wenig Bebauung, viel Grün

3,6 Quadratkilometer Kettwigs sind bebaut - das ist nur gut ein Viertel der Gesamtfläche. Mit 4,6 Quadratkilometern dominiert der landwirtschaftlich genutzte Bereich des Stadtteils. Knapp 4,1 Quadratkilometer sind bewaldet.

Wohnungsbau in Kettwig boomt nach wie vor

2014 wurden in Kettwig 42 Genehmigungen für den Neubau von Gebäuden mit Wohnraum erteilt. Hinter Horst (77 Genehmigungen) liegt Kettwig mit weitem Abstand auf dem zweiten Platz.

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