Essen. . Im Elisabeth-Krankenhaus in Essen werden medizinisch nicht notwendige Eingriffe an Jungen nicht mehr vorgenommen. Aufklärungsgespräche werden genutzt.

Es war das Ergebnis eines intensiven Austauschs zwischen Chefarzt, Oberärzten und Pflegepersonal: In der Klinik für Kinderchirurgie und Kinder-, Jugendmedizin im Elisabeth-Krankenhaus werden medizinisch nicht notwendige Beschneidungen an Jungen nicht mehr durchgeführt. Das erste Fazit fällt positiv aus: „Unsere Angebote für medizinische Aufklärungsgesprächs werden von den Eltern gut angenommen“, sagt Dr. Peter Liedgens. Der Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie weiß, dass Eltern anschließend zu Bescheidungszentren gehen. Er weiß aber auch, dass diese nach dem Gespräch auch immer wieder Abstand von der Beschneidung ihres Kindes nehmen.

Ein Entscheidung des Landgerichts Köln aus dem Jahr 2012 hatte den Prozess in Gang gebracht. Dort war die Beschneidung als rechtswidrig verurteilt worden. Die Bundespolitik kreierte anschließend einen legalisierenden Ausweichpararafen. Daraufhin formulierte die Gesellschaft für Kinderchirurgie eine Richtlinie mit dem Credo: Nicht alles, was gesetzlich erlaubt ist, ist medizinisch vertretbar.

Dr. Peter Liedgens.
Dr. Peter Liedgens. © Nicole Trucksess

„Diese Richtlinie setzen wir um“, erklärt Peter Liedgens und ergänzt: „Wir wollen dabei nicht Rechthaber sein.“ Die religiöse Komponente der Rituals, das vor allem im muslimischen und jüdischen Glauben einen Stellenwert genießt, spielt bei dem Gespräch keine Rolle. Im Elisabeth-Krankenhaus, so die Schätzung, sind 50 bis 70 Prozent der interessierten Eltern muslimischen Glaubens. „Wir wollen medizinische Fakten liefern. Wir geben eine Empfehlung ab“, erklärt der Arzt. Da geht es um die schmerzhaften körperlichen und seelischen Folgen des Eingriffs bei den Kindern. „Die erleben unsere Krankenschwestern schon in den Stunden und Tagen nach den Eingriffen mit“, so der Chefarzt. Diese Folgen sind den Eltern oft nicht bewusst.

Beschneidungszentren in Altendorf und Altenessen

Die Klinik für Kinderchirurgie im Elisabeth-Krankenhaus ist längt nicht die einzige, die den Eingriff verweigert. Es gibt Absprachen mit der Uniklinik, die ähnlich vorgeht, und mit Krankenhäusern in Herne, Bochum und Oberhausen. In den Dialog wurden auch niedergelassene Kinderärzte und Kinderchirurgen einbezogen.

Mediziner Peter Liedgens weiß natürlich, dass die medizinischen Aufklärungsgespräche und die Verweigerung die Beschneidungen nicht endgültig verhindern. Eltern suchen immer wieder sogenannte Beschneidungszentren auf. Die gibt es in Essen beispielsweise in Altendorf und in Altenessen. Das „Cerrah-Med“ in Altendorf wirbt „als ambulantes Zentrum für rituelle Beschneidungen.“ Es bietet „ärztliche Vor- und Nachsorge“ an sowie „eine ruhige und medizinisch einwandfreie Versorgung der jungen Patienten“. Für einen Eingriff kann schon mal ein mittlerer dreistelliger Euro-Betrag fällig werden.

Ein Viertel der Eltern nehme Abstand von dem Eingriff

Peter Liedgens geht davon aus, dass sich ehemalige „Kunden“ seines Elisabeth-Krankenhaus jetzt dessen Dienste andernorts sichern. Allerdings hat er auch erlebt, wie die medizinischen Gespräche entsprechende Denkprozesse ausgelöst haben. „Und genau das wollen wir gerne fortführen. Ein Viertel der Eltern überzeugen wir in etwa. Sie nehmen Abstand von dem Eingriff. Drei Viertel überlegen es sich zumindest noch mal“, schätzt der Essener Mediziner.

Im Elisabeth-Krankenhaus ist die Zahl der Beschneidungen innerhalb eines Jahres von 70 auf 11 zurückgegangen. Die verbleibenden Eingriffe basieren auf einer medizinischen Notwendigkeit, wie chronischen Entzündungen oder Vernarbungen der Vorhaut.