Essen. . 60 Jahre nach dem Titelgewinn von Rot-Weiss stellt das Ruhr-Museum die Replik der silbernen „Salatschüssel“ aus – bis zum 23. August auf Zollverein.
Das war ein Spezialauftrag mit Gänsehaut-Feeling – erst recht für einen eingefleischten Rot-Weiss-Fan, wie Markus Sorek einer ist. Als Ruhrmuseum-Direktor Theo Grütter ihn letzte Woche auf Dienstreise nach Bremen schickt, lässt sich der 53-jährige Essener natürlich nicht zwei Mal bitten. Seine noble Mission: die Replik der DFB-Meisterschale – 1955 errungen von den Rot-Weiss-Idolen Rahn, Islacker, Gottschalk & Co. – bei der Silberwarenmanufaktur persönlich abholen und sicher nach Essen bringen.
60 Jahre Essener Designgeschichte
Die Meisterschale von 1955 befindet sich direkt im Eingangsbereich von Halle 5, Zollverein. Die Design-Schau „Dauernde, nicht endgültige Form“ läuft noch bis 23. August, Mo. bis So., 10 bis 18 Uhr.
RWE gewann den Titel am 26. Juni 1955 durch ein 4:3 gegen K’lautern.
„Ich bin Rot-Weiss-Fan durch und durch, was gibt es da Schöneres“, sagt Sorek und legt an diesem Montagmorgen, wenige Augenblicke vor der Ausstellungseröffnung, zum letzten Mal Hand an die „Schale“. Mit weißen Baumwollhandschuhen und weichem Tuch poliert er beinahe andächtig die ohnehin schon glänzende „Salatschüssel“ aus Sterling-Silber noch ein bisschen mehr auf. Auch seine Kollegen ergreift der „Rahnsinn“, sie knipsen mit ihren Smartphones.
Repräsentativer Platz für die Schale
„Vor sechzig Jahren war es nicht üblich, eine Replik des Wanderpokals anzufertigen“, weiß Uwe Wick, Sporthistoriker und RWE-Vereinsarchivar. In Theo Grütter, selbst eingefleischter Fußball-Fan, findet Rot-Weiss einen verständnisvollen Mit-Investor. Verein und Museum teilen sich die 11 500 Euro, die diese Kostbarkeit kostet.
Im Titelgewinn von Rot-Weiss, dem ersten für eine Ruhrgebietsmannschaft nach dem Krieg, sieht Grütter weitaus mehr als einen bloßen Vereinserfolg. „Damit begann die Goldene Ära des Revier-Fußballs, denn die Deutschen Meisterschaften von Dortmund 1956/57 sowie Schalke 1958 folgten.“ Das Revier ist wieder wer.
Bis zum 23. August zählt die 55er-Schale zu den Höhepunkten der Design-Ausstellung („Dauernde, nicht endgültige Form“) in Halle 5 auf Zollverein: zusammen mit dem atemberaubenden 300 Mercedes-SL, dem bulligen Bosch-Kühlschrank und dem schicken Braun-Rasierer. Und danach? „Die Schale wird einen repräsentativen Platz im Stadion finden“, versichert Wick.
Was die Replik so besonders macht: Es handelt sich um eine Nachbildung der 1949 von Elisabeth Treskow (siehe Text unten) geschaffenen „Salatschüssel“. Wie das Original hat sie einen Durchmesser von 50 Zentimetern, die Gravur „Rot-Weiss Essen“, ist die letzte.
Markus Sorek, der schon seit 42 Jahren „durch und durch“ RWE-Fan ist, träumt noch immer davon, dass es mit seinem Verein wieder aufwärts geht – „am liebsten in Richtung erste Bundesliga“.
Elisabeth Treskow, Schöpferin der Schale, wirkte auf der Margarethenhöhe
Satte fünfeinhalb Kilo wiegt das silberne Prachtexemplar, auf dem fünf große und elf kleine Turmaline sowie vergoldete Zweige und Buchstaben funkeln. Es ist die „Meister-Schale“ von 1955, ein Juwel, das eine weitgehend unbekannte Geschichte erzählt: die ihrer Schöpferin, der Goldschmiedin Elisabeth Treskow.
Als die Designerin 1949 vom Deutschen Fußball-Bund beauftragt wird, das Nachfolgemodell des legendären (und damals verschollenen) Victoria-Meisterpokals zu entwerfen, ist sie schon als Professorin an die Kölner Werkschule berufen worden. Doch geprägt haben sie die intensiven Jahre zuvor in Essen. „Elisabeth Treskow verkörpert die Blüte des künstlerischen Schaffens auf der Margarethenhöhe in der Weimarer Republik“, sagt die Essener Historikerin Dorothea Bessen, die sich lange mit der Persönlichkeit Elisabeth Treskows befasst hat.
1992 im Alter von 94 Jahren gestorben
An der Handwerker- und Kunstgewerbeschule, der heutigen Folkwang-Universität der Künste, hat die gebürtige Bochumerin im Ersten Weltkrieg ihre Lehre als Gold- und Silberschmiedin absolviert. 1923 zieht sie mit ihrer Werkstatt vom elterlichen Betrieb in Bochum um auf die Margarethenhöhe und wird dort Teil der quirligen Künstlerkolonie, der namhafte Kreative wie der Bildhauer Will Lammert, der Druckgrafiker Hermann Kätelhöhn, der Emailleur Kurt Levy und die Buchbinderin Frida Schoy angehören. Letztere ist Schöpferin des „Stahlbuchs“, des Gästebuchs der Stadt Essen. „Elisabeth Treskows Wohnhaus und Atelier befanden sich hinterm Kleinen Atelierhaus“, sagt Ruhrmuseum-Chef Theo Grütter.
Nach der bestandenen Meisterprüfung 1923 und einem Umzug auf der Margarethenhöhe 1927 spezialisiert sich Elisabeth Treskow zunehmend auf eine antike Technik, die schon etruskische Schmiedekünstler zur Perfektion trieben: die Granulation.
Der kommerzielle Erfolg bleibt nicht aus: Elisabeth Treskow wird schon in Essen und später in Köln mit Aufträgen der Kirche, des Großbürgertums und der Stadt bedacht. So fertigt sie zuerst die Amtskette des Essener und später die des Kölner Oberbürgermeisters an. Ihre populärste Arbeit bleibt die so genannte „Salatschüssel“, die 1981 um einen ersten Ring erweitert wird, weil kein Meistername mehr drauf passt.
Elisabeth Treskow starb 1992 im Alter von 94 Jahren.