Essen.. Die „Grüne Hauptstadt“ verheißt Imagegewinn und Zugang zu Fördermitteln. Der OB dämpft die Erwartungen. Für ein ausuferndes Programm fehlt das Geld
Als Europas Kommissar für Umweltfragen, Karmenu Vella, bei der Preisverleihung in Bristol den Umschlag mit dem Namen des Titelträgers 2017 öffnet, ist die Spannung greifbar. „The winner is... - Essen!“ In der Essener Delegation brandet Jubel auf. Selbst Oberbürgermeister Reinhard Paß, sonst für Emotionsausbrüche nicht bekannt, entfährt ein „Wow“, als er zu einer kurzen Dankesrede ansetzt. Die Freude über den Titel Grüne Hauptstadt ist echt, es darf gefeiert werden. „Wir sind superglücklich“, sagt Umweltdezernentin Simone Raskob.
Raskob war die treibende Kraft hinter der Bewerbung. Als die EU es Essen 2012 versagte, wieder für das Ruhrgebiet anzutreten wie 2010 im Kulturhauptstadtjahr, warf Raskob die Brocken nicht hin. Und nachdem die Stadt 2014 ganz dicht dran war am grünen Titel, hat es nun geklappt; in der sieben Köpfe zählenden Jury soll damals nur eine Stimme gefehlt haben. Diesmal ging Essen als Favorit ins Rennen und wurde dieser Rolle gerecht.
Für 2017 soll nun ein vielfältiges Programm her. Nichts, was sich mit dem des Kulturhauptstadtjahres wird messen können, dämpft Raskob zu hohe Erwartungen. Der Stadt allein fehlen dafür die finanziellen Mittel. Deshalb heißt es, Klinken putzen. 40 Unternehmen und Institutionen hätten Unterstützung zugesagt.
Das reiche Hamburg, Titelträger 2010, ließ sich das Grüne-Hauptstadtjahr neun Millionen Euro kosten. Nicht jedes Event muss aber gleich ein Heidengeld kosten. Angedacht ist zum Beispiel, eine der vielen Essener Hauptverkehrstraßen einen Tag lang für den Autoverkehr zu sperren, um darauf ein großes Fest zu feiern wie 2010 das „Still-Leben“ auf der A 40. Essens zwölf Europaschulen sollen eingebunden werden und auch die Messe als Veranstaltungsort für Kongresse zu Umweltthemen. Bei anderen „Grünen Hauptstädten“ will Raskob sich Anregungen suchen. In Bristol zum Beispiel sollen in diesem Jahr bis zu 35 000 Bäume gepflanzt werden.
Vieles aber soll im Verborgenen wirken über 2017 hinaus. Die EU hat den Wettbewerb so angelegt, dass die Titelträger voneinander lernen. Der Grundgedanke: Über Lebensqualität entscheiden in erster Linie die Städte selbst. Dass es auch um Fördergelder geht, hatte Essen bei seiner Bewerbung von Beginn auf der Rechnung. Wie viel am Ende hier landen könnte, lässt sich seriös derzeit allerdings nicht schätzen. Es geht letztlich mehr um Symbolkapital, um Imagegewinn, was langfristig vielleicht sogar größere Früchte trägt, hieß es gestern in der Essener Delegation. Immerhin aber: 700 Millionen Euro enthält nach Auskunft des Essener EU-Politikers Jens Geier der EU-Topf allein für NRW. Dass Essen hier so etwas wie privilegierten Zugang erhält, ist schon eine Hoffnung.
Weckt der Titel vielleicht zu hohe Erwartungen? „Ich will das nicht ausschließen“, sagte der OB unmittelbar nach der Preisverleihung. Er wird dabei auch an die aktuelle Spardebatte gedacht haben. Kürzungen im Öffentlichen Nahverkehr dürften sich in einer „Grünen Hauptstadt“ schwerer durchsetzten lassen. Gestern musste Paß jedenfalls eingestehen: Grün „ist ein Gewinnerthema“. Und auch daheim waren sich alle Ratsfraktionen in ihren ersten Stellungnahmen einig: Essen hat alles richtig gemacht. Der Erfolg hat eben viele Väter.