Essen. Am Essener Viktoria-Gymnasium werden jetzt Flüchtlingskinder unterrichtet: Das macht ihnen so viel Freude, dass sie selbst an freien Tagen kommen wollen.

Ursula Freihold hat berufsbedingt schon immer mit der ganzen Welt zu tun: Sie ist Erdkundelehrerin am Viktoria-Gymnasium im Südostviertel. Neuerdings sitzen zwölf Kinder aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt bei ihr im Klassenzimmer, in einer Seiteneinsteigerklasse. Hier werden Schüler, die gar kein Deutsch sprechen, fit gemacht für den regulären Schulbetrieb. Sie sind zehn bis 15 Jahre alt und stammen aus Albanien, Syrien, dem Libanon oder Serbien.

Manche von ihnen beherrschen etwas Englisch, andere kennen weder eine Fremdsprache noch das Alphabet; einige sind nur mit arabischen Schriftzeichen vertraut. Darum baut Ursula Freihold ihren Unterricht praktisch auf, bringt etwa Äpfel, Bananen oder Salat mit: Vokabeln mit Geschmack.

Bis zu zwei Jahre besuchen die Kinder die Seiteneinsteiger-Klasse, bevor entschieden wird, welche Schulform sich am besten für sie eignet. In dieser Zeit haben sie auch Mathe, Kunst oder Sport, sollen aber vor allem ihre Deutschkenntnisse verbessern. Erfolge habe man schon nach Tagen erleben können, sagt die stellvertretende Schulleiterin Alice Bienk: „Erst waren die Kinder stumm, wenn sie mir auf dem Flur begegneten, jetzt schmettern sie ,Guten Morgen’.“ Ein doppelter Lernerfolg: Mit dem neuen Wort haben sie auch die Gepflogenheit erfasst, dass Schüler wie Lehrer einander grüßen.

Schüler als Dolmetscher

Mit Ursula Freihold habe man die perfekte Pädagogin für die Klasse gefunden: Sie hat die Zusatzqualifikation für Deutsch als Fremdsprache und schon mit Auffangklassen gearbeitet. „Dazu ist sie aufgeschlossen und warmherzig, aber auch konsequent“, sagt Alice Bienk. „Das gibt den Flüchtlingskindern, die teils schlimme Erfahrungen mitbringen, Vertrauen, Sicherheit und Struktur.“

Für die Schüler, die seit vier Wochen das Viktoria-Gymnasium besuchen, bedeutet Unterricht eine Abwechslung im oft zähen Alltag in den Flüchtlingsheimen. Ihr Lerneifer und ihre Wissbegierde sind groß: Selbst am – freien – Studientag wollten sie kommen.

Neugierig sind auch die anderen Schüler, oft schauen sie bei den Seiteneinsteigern vorbei: Manche bringen Kuchen mit, andere werden als Dolmetscher eingesetzt. Wie der elfjährige Nemanja, der die fünfte Klasse besucht: „Als ein Klassensprecher gewählt werden sollte, hab’ ich den serbischen Kindern übersetzt, worum es geht.“

Kein Unterrichtsausfall

An jungen Übersetzern mangelt es am Viktoria-Gymnasium nicht: Die Schule wird traditionell von vielen Kindern besucht, die aus Einwanderer-Familien stammen. „Wir nehmen die Besten, egal aus welcher Kultur“, sagt Alice Bienk.

Darum habe die Schule selbst angeboten, eine Seiteneinsteiger-Klasse einzurichten. Derzeit besuchen etwa 1400 Kinder solche Klassen an etlichen Schulen in Essen. Allein im ersten Quartal 2015 musste die Stadt für gut 300 Flüchtlingskinder neue Plätze finden. Das Viktoria-Gymnasium stelle sich dieser Herausforderung gern, sagt Alice Bienk. Das werde auch im Stellenschlüssel berücksichtigt: Wegen der „Extra-Klasse“ falle kein Unterricht in anderen Klassen aus.

Die Tatsache, dass manche Kinder nicht auf Dauer in Deutschland bleiben dürfen, ändere am Engagement nichts: „Solange sie bei uns sind, geben wir ihnen unser Optimum!“