Essen. . Der Arbeitskreis Jugend hat etwa 120 jugendliche Flüchtlinge auf eine Willkommens-Tour eingeladen. Mit dem Doppeldecker-Bus ging es zwei Stunden durch Essen.

Juan Kanbars Onkel wohnt seit zehn Jahren in Essen. Wenn der ihm sagt, Essen sei eine schöne Stadt zum Leben, dann wird das schon stimmen, hatte sich der 19-Jährige gedacht. Der junge Syrier ist sich da aber noch nicht ganz sicher. Vorher hat er in Leipzig gewohnt. Die Stadt sei irgendwie „älter“, erklärt er und sucht nach Wörtern, die repräsentative Gebäude beschreiben sollen. Vielleicht kann eine Stadtrundfahrt sein Bild von der Ruhrmetropole etwas aufbessern. Der zierliche Juan Kanbar ist einer von 120 Flüchtlingen, die in einem roten Doppeldecker-Bus Platz genommen haben, den der Arbeitskreis Jugend Essen (AKJ) organisiert hat.

Die Stimmung im Bus erinnert ein bisschen an eine Klassenfahrt, wie man sie aus der eigenen Schulzeit kennt: Die unvermeidliche Grüppchenbildung, die etwas schräge Musikauswahl des Fahrers, die umtriebigen Betreuer, die Wasser verteilen und der stockende Verkehr kurz vor der Ankunft am Hauptbahnhof. Doch anders als bei den meisten Schulfreizeiten, sitzen auf den hintersten Bänken diejenigen, die zuhören wollen. In diesem Fall sind es Jugendliche aus Syrien, dem Irak und dem Iran.

Jeden Tag Deutschunterricht

Dass es mit der Konzentration trotz Fahrgeräuschen so gut klappt, dürfte vor allem an Bouchra El Hafiane liegen. Die 44-jährige Marokkanerin sorgt dafür, dass die Fahrgäste verstehen, was seit 30 Minuten vom Band gespielt wird: Informationen über den Bau des Rathauses, die Anfänge der Firma Krupp, die Wasserqualität im Baldeneysee oder die Saalgröße in der Lichtburg.

Auf einen Kopfhörer, mit dem man die Ansagen unter anderem auf Englisch oder Französisch hören könnte, haben die allermeisten verzichtet – auch Juan Kanbar. Der Syrier lebt seit 18 Monaten in Deutschland. Sein Asylantrag hat sich lange hingezogen. Fünf Monate hat es gedauert, bis er in Essen eine Wohnung beziehen konnte. Seit acht Monaten lernt er inzwischen Deutsch – fünf Tage die Woche.

Als der Bus in die Siedlung Margarethenhöhe einfährt, zücken fast die meisten Jugendlichen reflexartig ihr Handy. Auch beim Anblick der Villa Hügel macht so mancher von ihnen große Augen. Bouchra El Hafiane sortiert währenddessen ihre Unterlagen. Weil auch sie dem Ansager bei Tempo 50 nur begrenzt zuhören kann, hat sie sich im Vorfeld einen eigenen Text für die Stadtführung überlegt. „Ich musste dafür erst ein paar Dinge lernen“, gibt sie zu. „Themen wie Bergbau und Stahl zum Beispiel.“ Kurz darauf dreht sie sich zu den Jugendlichen und berichtet auf Arabisch von der Gründung des Frauenstift im Jahr 845.

Baden verboten

„Die Tour heute ist die erste Aktion dieser Art“, erklärt Jens Lübbe, einer der Organisatoren des AKJ. „Es wird viel über Flüchtlinge gesprochen, wir wollten jetzt aber auch aktiv werden. Die Fahrt hat daher zwei Funktionen: Wir wollen die neuen Einwohner willkommen heißen und ihnen ihre Stadt etwas näher bringen.“ Lübbe und dem AKJ ist klar, dass sich die Fahrgäste um ihn herum nur einen Bruchteil der Informationen merken können. Einige der Flüchtlinge leben erst seit vier Wochen in der Ruhrstadt. Die wenigsten sprechen so gut Deutsch wie Juan Kanbar, der betont: „Ich verstehe 80 Prozent.“

Tatsächlich kennen viele Flüchtlinge nur die Innenstadt und ihr eigenes Viertel, berichtet eine Mitarbeiterin der Diakonie. Juan Kanbar möchte dagegen am liebsten gleich aussteigen und im Baldeneysee schwimmen. Doch dann wird er vom Busfahrer aufgeklärt: „Wegen bestimmter Auflagen der EU ist Baden leider nicht möglich.“ Der junge Syrier bittet trotzdem um Informationen zum S-Bahn-Anschluss.

Vor dem Handelshof rufen Jens Lübbe und der Busbetreiber zum gemeinsamen Gruppenfoto. Die nächsten Fahrgäste warten schon. Ein paar Jungen albern rum – auch das gehört zu jeder Klassenfahrt dazu. Juan Kanbar nimmt sich den Hund, hält ihn in die Kamera. Dann sagt er, dass er bald eine Ausbildung machen wolle. „Ich möchte Deutschland etwas zurückgeben.“