Heidhausen. .
Es hat tatsächlich was von Hogwarts, das Kamillushaus in Heidhausen. Mit seinen Türmchen und Erkern, den hohen Fenstern und der imposanten Eingangstür ähnelt das schlossähnliche Gebäude dem Zauberinternat von Harry Potter und Co.. „Das habe ich schon öfter gehört“, sagt Pater Dietmar Weber schmunzelnd, „aber bei uns gibt es keine Hexerei, sondern echte Therapie und Hilfe.“
Der Pater, der seit 1974 im Kamillushaus als Therapeut arbeitet, ist das Gedächtnis der Fachklinik, die 1901 ihre Pforten als Trinkerheilanstalt öffnete. Die Kamillianer, ein katholischer Männerorden, waren die ersten, die die Trunksucht als Krankheit einordneten und nicht von „Verdorbenheit“ sprachen. „Das Kamillushaus war überhaupt die erste katholische Einrichtung in ganz Deutschland, die sich um männliche Alkoholiker kümmerte.“
Die Bitte nach der Gründung einer Heilstätte kam aus der Werdener Gemeinde, die sich bewusst an den Orden wandte. Denn die Kamilianer sorgten sich seit ihrer Gründung um Kranke. „Seelsorge und Leibsorge nannte man das.“ Schnell war das Grundstück in Heidhausen gefunden, der Bau des im neugotischen Stil errichteten Hauses für knapp 100 Patienten wurde vorwiegend durch Spenden finanziert. Die katholische Gemeinde war glücklich, dass mit dem Haus auch eine Kirche erbaut wurde. „Da mussten die umliegenden Bauern nicht mehr nach Werden fahren.“
Als kurz darauf die Heilanstalt ihre Arbeit aufnahm, ist der Andrang groß. Lehrer, Apotheker, Gastwirte, Arbeiter, Beamte und Kaufleute kommen zur Therapie - wie heute zieht sich die Sucht durch alle sozialen Schichten. Es gibt drei Behandlungsklassen mit unterschiedlichen Standards. Der Pensionspreis, den die Patienten selbst zahlen müssen, liegt zwischen 1,25 und 7 Mark pro Tag. „Wer kein Geld hatte, wurde durch die Armenkasse der Gemeinde unterstützt.“
Jahrzehntelang selbst versorgt
Das damalige angewandte Therapeutikum hieß bei den Patres „ora et labora“. übersetzt: bete und arbeite. „Der Leitgedanke war, dass man durch ein geordnetes Leben und einen gefestigten Glauben die Alkoholsucht überwinden kann.“ So wurde auf den zum Haus gehörenden Feldern gearbeitet, aber auch im Garten, in der Küche oder der Wäscherei. „Wir haben uns viele Jahrzehnte lang selbst versorgt.“
Trotz vorbildlicher Arbeit und Aufklärung wird erst in den 1960er Jahren die Alkoholsucht als Krankheit anerkannt, wird Entzug und anschließende Therapie von Krankenkassen und Rententräger bezahlt.
Doch nicht nur das hat sich in den 114 Jahren seit Bestehen des Hauses geändert. Auch die therapeutischen Ansätze sind komplett anders. Entgiftung, ambulante Rehabilitation, Tagesklinik, stationäre Langzeittherapie „wir bieten eine optimale, auf die eigene Lebenssituation zugeschnittene Therapie an“. Mit Erfolg: Langfristig bekommen 60 Prozent der Menschen, die hier behandelt wurden, ihre Sucht in den Griff.