Die älteste, renommierteste Lesungs-Reihe der Region, die Schreibheft-Herausgeber Norbert Wehr und Essens Bücher-Fachfrau Beate Scherzer seit über 25 Jahren gemeinsam leiten, hat in Essen schon viele Standorte gehabt: das Museum Folkwang, das Aalto- und Grillo-Theater und zuletzt wieder das Folkwang. Nachdem Museums-Direktor Tobia Bezzola der Veranstaltungsreihe im vergangenen Herbst die finanzielle und räumliche Grundlage entzogen hatte, war man zunächst heimatlos. Und will es in Zukunft gewissermaßen auch bleiben. „Wir werden Herumreisende sein“, verkündete Beate Scherzer am Donnerstagabend in der gut besuchten Kreuzeskirche am Weberplatz, wo die alte Reihe unter neuem Namen mit einer Lesung des renommierten Kafka-Biografen Reiner Stach ihre Fortsetzung feierte.
„Literatur: Literatur!“ heißt es künftig nicht nur in der Kreuzeskirche, deren zwangsläufig hallige Akustik als Vorleseraum bei der Premiere allerdings noch ausbaufähig erschien, sondern auch in den Filmkunsttheatern und im Forum Kunst & Architektur am Kopstadtplatz. Man wolle sich auf die Innenstadt konzentrieren“, erklärte Scherzer. Auch wenn es „Asyl“-Angebote weit über die Stadtgrenzen hinaus gegeben hat. Mit 223 Lesungen, die über die Jahre Nobelpreisträger wie Günter Grass, Imre Kertesz und Herta Müller ins Revier brachten, genießt man schließlich großes Renommee, das am Donnerstagabend auch Reiner Stach bestätigte. Der Literaturwissenschaftler hat mit dem dritten Teil seiner Kafka-Biografie, in dem er vor allem von Kafkas Jugend im antisemitschen Prag erzählt, vom Leben in den rasant wachsenden Vorstädten, ein monumentales Werk abgeschlossen, das fast 2000 Seiten und 20 Jahre Forschungsarbeit umfasst. „Ein Werk, das beim Lesen Glückshormone freisetzt“, wie Norbert Wehr befand. Mit ganz vielen Endorphinen soll die Lesungs-Reihe nun fortgesetzt werden.