„Warnung! Sie kommen hier nicht so raus, wie sie reingekommen sind.“ Benjamin Seddig, ein Mann mit Brille und silbernem Zylinder, sitzt im Rollstuhl und alarmiert die 150 Zuschauer. „Erwarten Sie keine Logik. Hier werden Sie emotional gefordert.“ Seddig ist Teil vom inklusiven Theaterprojekt „anders eben“, bei dem Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam auf der Bühne stehen.

Die Bühne ist dabei das Rathaus selbst. Das Stück „Spurensuche“ führt sein Publikum quer durch das Foyer, vor die Aufzüge und zum Empfang. Die Behinderten sind die Underdogs: Sie kommen aus den Tiefen des Gebäudes, nachdem die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze verlassen haben und es ruhig geworden ist. Dann beginnt der Tag der besonderen Spezies: Sie tanzen mit Rollstühlen, erzählen aus ihrem Leben und von ihren Träumen. Besonderen Beifall erntet der Essen-Rap. Hier stellen die Akteure ihre Wohnorte vor und erzählen Geschichten, die sie mit ihrem Stadtteil verbinden – vom Knutschen auf der Brehminsel über das Borbecker Braubier bis hin zum WG-Leben in Frohnhausen. Die Band „Lenial“ unter Leitung von Kevin Sheahan-Weishof begleitet das Stück musikalisch.

Nach dem Aufführung treibt es viele der Besucher noch in den Ratssaal. Eine Podiumsdiskussion nimmt das Stück und die inklusive Kulturlandschaft unter die Lupe. Seddig hat den Zylinder abgesetzt und ist jetzt als Diskussionsteilnehmer dabei: „Ich erlebe Theater als Bereicherung. Wir können Wünsche und Ideen äußern und geben das Futter für die Szenen.“

Kunst statt Pädagogik

Für Bassam Ghazi geht Inklusion noch weiter: Der Theaterpädagoge verbindet in seinem Projekt „Inclucity“ auch ethnische, religiöse und sexuelle Unterschiede. „Am Ende zählt, was auf der Bühne passiert. Wir wollen vor allem Kunst machen, keine Pädagogik.“ Ähnlich sieht es auch Gerda König, künstlerische Leiterin der Tanzgruppe „DIN A 13“. „Ich vermeide Begriffe wie Integration und Inklusion“, erklärt König, die selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist, und sich auch kritisch zu dem Stück äußert. „Ich finde es schade, dass es Klischees bedient. Ich will quer denken und provozieren.“ Vielen der Beteiligten – vor allem den Darstellern – sind diese Aussagen ein Dorn im Auge. Magdalene Merkel vom Integrationsmodell sieht es als Anstoß. „Würden Sie einen Tag mit uns arbeiten?“, fragt sie die Choreografin. Gerda König sagt zu.

Doch wie sieht die Zukunft der kulturellen Inklusion aus? Kulturdezernent Andreas Bomheuer hält es für wichtig, keine Parallelstrukturen zu schaffen. Philipp Neßling, Gründer des Integrationsmodells, spinnt noch etwas weiter: „Jede Bühne sollte offen sein für Inklusion. Und ich würde gern mit einem behinderten Menschen jeden kulturellen Ort besuchen können.“ Auch Seddig hat konkrete Wünsche. Er hofft, dass Barrieren verschwinden: die echten und die in den Köpfen der Menschen.