Es ist ein denkbar schlechtes Szenario bei der zwingenden Unterbringung einer weiter steigenden Zahl von Asylbewerbern – dennoch muss die Stadt es mangels Masse ins Kalkül ziehen: Die fünf bestehenden Behelfsunterkünfte für Flüchtlinge bleiben nicht nur für voraussichtlich zwei weitere Jahre am Versorgungs-Netz. Sie werden sogar noch ausgebaut, wenn es im Laufe des Jahres zu Engpässen kommt: um insgesamt 363 auf 903 Plätze. Diesen Plan wird die Sozialverwaltung dem Rat der Stadt im März unterbreiten.
„Wir würden das nicht vorschlagen, wenn wir nicht in Not wären“, sagt Sozialdezernent Peter Renzel, der offenbar keinen anderen gangbaren Ausweg mehr sieht. Die Stadt stecke in der finanziellen Klemme. Für die dringend benötigten sieben neuen Übergangswohnheime, die einen Verzicht auf die Behelfsunterkünfte möglich machen könnten, fehlen zur Zeit die notwendigen Investitionsmittel in Höhe von rund 30 Millionen Euro. Ohne zusätzliches Geld von Bund oder Land aber ist diese Asyl-Aufgabe in diesem Jahr nicht mehr zu stemmen, sagt Peter Renzel.
Jedenfalls nicht ohne schmerzhafte Einschnitte andernorts: Spräche sich die Politik mehrheitlich für eine Schließung der Behelfsunterkünfte an der Tiegelstraße, der Hatzper Straße, Kapitelwiese, Oslenderstraße sowie Im Neerfeld und gleichzeitig für Neubauten mit zusätzlichen 998 Plätzen ohne frisches Geld von Land oder Bund aus, müssten „Maßnahmestreichungen in drastischem Umfang erfolgen“, warnt die Sozialverwaltung in einem Papier für den Stadtrat. Heißt: Investitionen in Schulen oder Sportstätten zum Beispiel wären dann kaum noch möglich. Langsam geht’s also ans Eingemachte.
Als ahnte er die bevorstehenden Diskussion: „In unseren Behelfsunterkünften sind die Menschen ordentlich untergebracht“, meint Renzel vorsorglich. Vermutlich wirklich besser als die Flüchtlinge in den Turnhallen, die jüngst in Dortmund und Leverkusen belegt werden mussten. „Das wollen wir auf jeden Fall verhindern“, sagt der Sozialdezernent, der darauf hofft, im Gleichschritt mit anderen Kommunen und durch Unterstützung des Deutschen Städtetages genug Geld bei Bund und Land für den Neubau von Unterkünften einwerben zu können.
Zudem setzt Renzel auf die Zustimmung der örtlichen Politik, sich von der Kommunalaufsicht eine höhere Nettokreditaufnahme für Investitionen genehmigen lassen zu dürfen. Ob es eine solche Zustimmung angesichts des maroden Essener Haushalts geben wird, ist allerdings ebenso offen.
So oder so. Langwierige Verhandlungen kann sich niemand leisten: Denn nach bisherigen Prognosen der Stadt dürften die vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen bis Juli ausreichen. Bis zum Jahresende wird mit 458 zusätzlich benötigten Plätzen kalkuliert, sollten die Behelfseinrichtungen in die Verlängerung gehen.
Die geplante Erstaufnahmeeinrichtung des Landes auf dem ehemaligen Kutel-Gelände wird in diesem Jahr jedenfalls noch keine Auswirkung auf Essens Zuweisungsquote haben. Eine allzu große Entlastung ist aber auch in 2016 kaum zu erwarten. Denn sollte die 800-Plätze-Einrichtung in Fischlaken die Notunterkunft im Opti-Park für maximal 530 Menschen überflüssig machen, blieben am Ende gerade mal 270 Plätze anzurechnen für Menschen, die Essen nicht zugewiesen werden.
Trotz aller entlastenden Bemühungen, möglichst viele Flüchtlinge in Wohnungen zu vermitteln – 1.950 lebten am 31. Dezember in „eigenen“ vier Wänden – , schlägt die Stadt vor, die ehemalige Boecker-Hauptverwaltung an der Hülsenbruchstraße für rund 1,6 Millionen Euro für fünf Jahre anzumieten, um dort 130 Menschen unterzubringen. Zudem soll der Mietvertrag für das Haus an der Pregelstraße mit 50 Plätzen verlängert werden. Sie werden benötigt.
Ende des vergangenen Jahres lebten in Essen rund 3.000 Asylbewerber, davon 1.068 in städtischen Unterkünften. Im ersten Monat des neuen Jahres waren zusätzlich 261 Neuankömmlinge unterzubringen. Für 2015 geht die Stadt davon aus, dass ihr insgesamt 1.460 Flüchtlinge zugewiesen werden. Dazu kommen 140 Syrer, die der Stadt namentlich bereits bekannt sind und die ihre Einreise eigenständig organisieren.
802 der aktuell in Essen untergebrachten Asylbewerber stammen aus den so genannten sicheren Herkunftsländern Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. 650 davon sind nach Auskunft Renzels ausreisepflichtig. Im vergangenen Jahr sind 53 Menschen abgeschoben worden. Zu wenig, findet die Stadt und will sich im März vom Rat eine Art Persilschein geben lassen, um „die Rückführung zu verstärken“ – wenn nötig auch mit Unterstützung anderer Bundesländer, wie es heißt.