Essen. Schwerkranke, die ihre letzten Tage in einem Hospiz verbringen möchten, müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Oft ist es dann schon zu spät, denn die Einrichtungen haben zu wenig Kapazitäten

Todkranke Menschen eint in der Regel ein Ziel: Wer medizinisch als austherapiert gilt und nur noch eine sehr kurze Lebensspanne vor sich hat, möchte seinen letzten Tagen so viel Lebensqualität wie möglich abtrotzen. Oft finden diese Patienten dann den Gang in ein Hospiz, wo man, anders als etwa in der Palliativstation einer Altenpflege-Einrichtung, gezielt auf ihre Bedürfnisse eingehen kann und der Mensch ganz im Mittelpunkt steht.

Problematisch wird es jedoch, wenn für diese Patientengruppe bei Weitem nicht genügend Pflegeplätze zur Verfügung stehen, wie es auch in den Essener Häusern der Fall ist. Die Wartelisten sind lang – und so kommt es vor, dass Kranke, die einen Hospizplatz suchen, häufig schon verstorben sind, bevor ein Platz für sie frei geworden ist. Die Einrichtungen in Werden, Steele und Frintrop halten zusammen gerade mal 33 Betten vor – sehr wenig für eine Großstadt wie Essen, wobei die Häuser von Patienten aus dem gesamten Ruhrgebiet frequentiert werden.

Eine Entwicklung, die Danh Vu, Geschäftsführer des Hospizes Essen-Steele im Alfried-Krupp-Krankenhaus, schon seit Langem Sorge bereitet; das Problem sieht er vor allem in der Unterfinanzierung der Einrichtungen, wobei die Kosten zu 90 Prozent vom Staat und zu zehn Prozent durch Spenden getragen werden. Und: „Pro Bett finanziert der Gesetzgeber nur eine Pflegekraft für den laufenden Betrieb. Der Bedarf ist aber deutlich höher“, so Vu. Im Hinblick auf die Wartelisten werden die Anwärter auf einen Hospizplatz nach sozialen Kriterien wie Alter, Stadium der Erkrankung und familiären Hintergrund ausgewählt. Vorzug gibt man in Steele etwa Patienten, die keinen Lebenspartner mehr haben, der die Pflege zuhause anteilig übernehmen könnte.

Lebensqualität bis zum Ende

Auch wünscht Vu sich eine breite Diskussion über den Ausbau der Palliativmedizin mit mehr ambulanten Angeboten, wobei die Hospize aus seiner Sicht noch immer mit Vorurteilen behaftet seien: „Viele Menschen denken, in ein Hospiz ginge man nur zum Sterben. Aber das Gegenteil ist der Fall – wir versuchen, unseren Gästen ihre letzte Lebensphase so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Hier greift der Leitspruch von Cicely Saunders, eine englische Ärztin, die als Begründerin der Hospizbewegung gilt: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

Und eben dies hat Methode: Auf Patientenwünsche geht das Personal individuell ein, kleine Wohneinheiten sollen dafür sorgen, dass die Bewohner sich so heimisch wie möglich fühlen. „Wenn die Gäste sich Pommes zum Mittagessen wünschen, ermöglichen wir das auch. In seinen letzten Tagen sollte niemand Abstriche machen müssen“, versichert Vu. Ähnlich hohen Zulauf hat das Christliche Hospiz Essen-Werden, das bei Interessenten auch durch seine idyllische Lage punktet.

Doch kann nur eine Minderheit der Betroffenen untergebracht werden. Das Hospiz Cosmas und Damian in Borbeck nimmt im Jahr circa 140 Patienten auf – dem gegenüber stehen 800 bis 900 Anfragen. „Deshalb wird ein großer Teil der Palliativpflege in die Altenheime verlagert – hier gilt das Prinzip: Ambulant vor stationär“, sagt Caritas-Direktor Björn-Enno Hermans.

Motto: „Ambulant vor stationär“

Auch verbringen Patienten nunmehr deutlich weniger Zeit in Hospiz oder Altenpflegeheim als früher, da der Umzug in eine solche Einrichtung für viele heute als Ultima Ratio gilt. Ambulant vor stationär – wenn es geht, bis zum letzten Tag.

Getragen wird das System der Palliativpflege vor allem durch ehrenamtliche Mitarbeiter wie Katja Arens. Seit zwei Jahren arbeitet die 42-Jährige als Sterbebegleiterin im Hospiz Cosmas und Damian – eine Aufgabe, die sie aus Überzeugung übernommen hat. „Nachdem ich eine Freundin verloren hatte, die an Krebs erkrankt war, wollte ich anderen schwerkranken Menschen helfen, mit ihrem Schicksal besser umgehen zu können, ihnen ein bisschen von ihrer Angst nehmen“, sagt die Sozialpädagogin. „In meinem Beruf habe ich ständig mit Menschen in schwierigen Lebenslagen zu tun. Daher war ich es gewohnt, auch eine professionelle Distanz zu wahren.“

Was nicht bedeutet, dass sie sich jemals an das Sterben gewöhnt hätte. Mit ihrer Diagnose gehen derweil alle Patienten anders um – die einen ziehen sich zurück, die anderen suchen das Gespräch. Eines aber haben alle gemeinsam, sagt Arens: „Die Menschen sind hoffnungslos hoffnungsvoll. Irgendwie klammert sich jeder an den Gedanken, dass eines Tages doch alles wieder gut wird.“

Ehrenamtliche brauchen emotionale Stärke

Doch entgegen allen Klischees sei das Hospiz kein Ort, an dem immer getrübte Stimmung herrsche und Besucher nur flüstern dürften. „Natürlich wird hier auch gelacht. Oft sind Angehörige mit ihren Kindern und Enkelkindern zu Besuch, da geht es auch mal fröhlich und lebhaft zu.“

Und manchmal gebe es eben auch kleine Wunder: Zwar sei der Fall, dass jemand im Hospiz seine Krankheit besiegt und diesen Ort lebend verlassen hätte, äußerst selten, doch ein anderes Phänomen hat Katja Arens schon öfters beobachtet: „Manchmal blühen Menschen in der letzten Phase ihres Lebens noch einmal richtig auf. Im Hospiz sind sie rundum aufgefangen, das kann ganz neue Kräfte freisetzen.“ Über seelische Stärke müssen indes auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter verfügen, sagt Judith Kohlstruck, Koordinatorin für Ambulante Hospizarbeit Cosmas und Damian: „Man sollte schon über eine gewisse psychische Stabilität verfügen, wenn man sich für die Hospizarbeit interessiert – Menschen, die sich gerade in einer Lebenskrise befinden, sollten eher davon Abstand nehmen.“

Eine Altersgrenze gebe es allerdings nicht , „bei uns engagieren sich Menschen von 28 bis 82.“ In einer Fortbildung, die vom Land angeboten wird, werden die Helfer auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Geschult werden sie etwa in puncto Kommunikation und Gesprächsführung, Schmerztherapie und Begleitung im Glauben, doch werfen sie in der Hospizarbeit auch immer einen intensiven Blick auf sich selbst. Kohlstruck: „Man setzt sich intensiv mit dem Tod auseinander, den man im Alltag eher verdrängt. Das ist eine Bereicherung.“