Essen. Das Landesarbeitsgericht hat die Mesenhohl-Tochter MM-Bus wegen sittenwidriger Bezahlung einer Busbegleiterin verurteilt. Die Firma zieht nun vors Bundesarbeitsgericht.

Das graue Winter-Wetter kann Peter Bühners Laune nichts anhaben. Mit einem zufriedenen Lächeln zieht der Anwalt für Arbeitsrecht ein Urteil des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf aus einer roten Aktenmappe. Die schriftliche Fassung des Urteils wurde Mitte Dezember veröffentlicht und ist dicke 47 Seiten lang. Der Richter bescheinigt darin der Mesenhohl-Tochter MM-Bus, eine ehemalige Busbegleiterin sittenwidrig entlohnt zu haben. Und mehr noch: Er stellt in dem Urteil die verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers und somit Lohnwucher fest. MM-Bus habe die Unerfahrenheit oder die Ängste seiner Teilzeitkräfte zum eigenen Vorteil systematisch ausgenutzt.

Das Urteil ist das erste, das dem Krayer Busunternehmen die Sittenwidrigkeit und verwerfliche Gesinnung ins Stammbuch schreibt und ist mehr als nur eine Ohrfeige. Der Fall hat Strahlkraft und könnte das Unternehmen teuer zu stehen kommen. „Da hat sich der Richter sehr viel Mühe gegeben. Herausgekommen ist ein hochwertiges Urteil“, sagt Bühner, der derzeit 25 ehemalige Busfahrer und Busbegleiter der Firma vor Gericht vertritt.

Chancen der anderen Kläger gestiegen

Ihre Chancen, entgangenen Lohn nun erfolgreich einzuklagen, sind mit dem Urteil gestiegen. Ihre Forderungen gegen MM-Bus summieren sich auf zirka eine halbe Million Euro. Nach Auffassung des Gerichtes zahlte MM-Bus der ehemaligen Mitarbeiterin im Jahr 2012 über Monate einen Stundenlohn von nur 3,40 Euro und somit deutlich weniger als zwei Drittel des üblichen (Tarif)lohnes. Zugestanden hätten ihr nach Tarif 9,76 Euro brutto. Eine Lohnfortzahlung an Feiertagen oder im Krankheitsfall gab es ebenso wenig wie bezahlten Urlaub. Kein Einzelfall, wie sich in der Verhandlung zeigte. Dort hatte der Geschäftsführer von MM-Bus erklärt, dass keiner der über 100 Busbegleiter jemals bezahlten Urlaub bekommen hat. Das habe schließlich auch keiner der Beschäftigten verlangt, meinte er. Eine Aussage, die schlicht zynisch sei, kommentierte Richter Alexander Schneider.

Das Urteil wirft über den Einzelfall hinaus nicht nur ein Licht darauf, wie MM-Bus mit geringfügig Beschäftigten umgegangen ist. Es offenbart auch, dass dies wohl in weiten Teilen der Busbranche gängige Praxis ist und die öffentliche Hand als Auftraggeber wegsieht.

Rechtsanwalt Peter Bühner.
Rechtsanwalt Peter Bühner. © WAZ FotoPool

So transportiert MM-Bus unter anderem im Auftrag der Stadt Essen und des Landschaftsverbandes Rheinland täglich Schüler. Jahrelang gab es für die Busfahrer und -begleiter keine schriftlichen Arbeitsverträge. Offenbar interessierte dies auch keinen der Auftraggeber. Genauso wenig, wie die Frage, ob die Aufträge überhaupt einen auskömmlichen Lohn zulassen.

In dem Verfahren hatte MM-Bus zudem vorgebracht, dass auch andere verbandsangehörige Unternehmen ihren Busbegleitungen Tourenlöhne zwischen 5,50 und 6 Euro zahlen würden. Manche sogar nur 5,15 Euro. Der Tariflohn sei somit keine branchenübliche Bezahlung und somit kein Maßstab, um eine sittenwidrige Bezahlung festzustellen, argumentierte die Firma. Das Gericht widersprach: Die Zahlen belegten vielmehr, dass auch die Konkurrenzunternehmen diskriminierend niedrige Löhne zahlten.

Bühner lässt im Rechtsstreit mit MM-Bus nicht locker 

Seit nunmehr zweieinhalb Jahren zieht Bühner juristisch gegen MM-Bus zu Felde. 15 Verfahren liegen derzeit beim Landesarbeitsgericht, neun beim Arbeitsgericht Essen. Der Rechtsstreit ist jedoch noch lange nicht ausgefochten. Denn MM-Bus hat gegen das jüngste Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Frühestens Ende des Jahres, eher erst im kommenden wird der Fall dort verhandelt werden, heißt es beim BAG.

Bühner hält dies nicht ab. Er wird nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichtes den ausstehenden Lohn der Busbegleiterin von MM-Bus einfordern und die anderen Prozesse fortsetzen. Den ehemaligen Auto-Manager haben die zweieinhalb Jahre Kampf angestachelt: „Mich provoziert vor allem die Hartnäckigkeit“ der Gegenseite. Eine schriftliche Anfrage dieser Zeitung an MM-Bus blieb unbeantwortet.

Der Einzelfall: Busbegleiterin bekam 3,40 Euro die Stunde

Die 60 Jahre alte Busbegleiterin war von Februar bis Ende Oktober 2012 bei MM-Bus beschäftigt. Zunächst gab es nur einen mündlichen, ab 22. August einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Die Frau musste morgens mit einer Busfahrerin bis zu 16 geistig und körperlich behinderte Kinder zu Hause abholen und zur städtischen Förderschule „Traugott-Weise-Schule“ nach Borbeck bringen und dort am Nachmittag wieder abholen. Dafür bekam sie 7,50 Euro pro Tour, also 15 Euro am Tag. Im später abgeschlossenen Arbeitsvertrag war u.a. ein Stundenlohn von 9 Euro und eine Wochenarbeitszeit von ca. 20,5 Stunden vereinbart. Tatsächlich bezahlte MM-Bus aber weniger Stunden. Zu Unrecht, wie das Gericht befand.

Einer der Hauptstreitpunkte zwischen Arbeitgeber und der Beschäftigten ist die Frage, was als Arbeitszeit zählt. MM-Bus wollte als Arbeitszeit jeweils nur die Zeit vom Abholort des ersten Schülers bis zur Schule anerkennen. Auch Wartezeiten sollten nicht bezahlt werden. Das Landesarbeitsgericht folgte jedoch der Argumentation der Busbegleiterin, wonach als Arbeitszeit die Zeit vom Verlassen der Wohnung bis zum Wiedereintreffen dort anzurechnen ist. Somit kamen statt der etwa zwei Stunden, die der Arbeitgeber ansetzte, vier Stunden 25 Minuten täglich zusammen. Damit ergab sich bis August 2012 rechnerisch ein Stundenlohn von 3,40 Euro. Außerdem standen ihr bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu.

Die ersten Mitarbeiter hatten schon im Sommer 2012 geklagt und vor Gericht Vergleiche geschlossen. Dem Unternehmen schwante damals offenbar, dass es teuer werden könnte, wenn noch mehr Beschäftigte klagen würden. Im Sommer legte MM-Bus daher mit dem Arbeitsvertrag eine Vereinbarung vor, in der die Mitarbeiter bestätigen sollten, dass das Arbeitsverhältnis bis dahin ordentlich abgerechnet wurde. Damit wollte sich MM-Bus offensichtlich gegen Nachforderungen aus der Vergangenheit schützen. Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass diese Erklärung die Mitarbeiter unverhältnismäßig benachteilige und sie somit unwirksam sei.