Essen. . Seit zwei Jahren wurden keine Kinder mehr im Essener Babyfenster abgegeben. Trotz der Möglichkeit einer vertraulichen Geburt plädieren Experten für dessen Erhalt
Ungewollt schwanger zu sein, ist wohl für jede Frau eine Ausnahmesituation, die sie vor besondere Herausforderungen stellt. Wenn dann die individuellen Lebensumstände der werdenden Mutter ohnehin schon schwierig sind, kapitulieren manche davor. Dem christlichen Anspruch folgend, menschliches Leben zu schützen und Frauen in einer solchen Situation vor einer Abtreibung zu bewahren, gibt der Sozialdienst Katholischer Frauen (SkF) als Träger solchen Frauen die Möglichkeit, ihr Kind sicher in einem Babyfenster abzulegen. Ursprünglich im Südviertel untergebracht, zog das Angebot im Herbst 2013 an die Elisabethstraße in Huttrop um. Seit 2001 wurden in Essen insgesamt 18 Kinder in der „Babyklappe“ abgelegt, wie der Volksmund sie auch nennt. In den vergangenen zwei Jahren wurde indes keines mehr abgegeben.
Immer wieder gab es in der Vergangenheit hitzige Debatten, ob die bloße Existenz eines Babyfensters Frauen den Weg zu sehr erleichtere, sich anonym ihres Kindes zu entledigen – ein Argument, das Björn Enno Hermans, Geschäftsführer des SkF, eher zynisch findet: „Über die Motive einer Frau, die ihr Kind abgibt, wissen wir nichts. Aber sicherlich würde keine Mutter eine solche Entscheidung leichtfertig treffen.“ Zwar sollte der Gang zur Babyklappe die Ultima Ratio für eine Mutter darstellen, doch die grundsätzliche Möglichkeit dazu müsse erhalten bleiben – schon allein, weil es immer Mütter geben werde, die nicht die Kraft für ein Beratungsgespräch aufbringen. „Das haben Untersuchungen eindeutig gezeigt.“
Auch an der Außenwand des Babyfensters finden sich Hinweise auf Hilfs- und Beratungsangebote. Ein Netzwerk, das offenbar funktioniert, ist doch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland seit 2010 kontinuierlich gesunken. Weltweit gibt es nirgendwo weniger Schwangerschaftsabbrüche als in der Bundesrepublik – dies geht aus einer Erhebung des Berufsverbandes der Frauenärzte hervor.
Acht Wochen Bedenkzeit
Nach der Abgabe des Kindes im Babyfenster läuft eine Frist von acht Wochen, innerhalb der die Mutter ihre Entscheidung überdenken und ihr Kind gegebenenfalls zurückholen kann. Auch danach gibt es noch Kontaktmöglichkeiten, wie Susanne Thelen, Mitarbeiterin im Adoptions- und Pflegekinderdienst beim SkF, erläutert: „Einen Weg zum Kind gibt es für die Mutter eigentlich immer. Auch die späteren Pflegeeltern werden dahingehend geschult, dass sie einen möglichen Kontakt des Kindes mit den leiblichen Eltern akzeptieren und fördern.“
Somit erhält die Mutter am Babyfenster einen Brief, der in sieben Sprachen verfasst ist. Über ein Kennwort kann sie sich jederzeit beim Krankenhaus melden. Sobald eine Frau ihr Kind ablegt, wird auf der Neugeborenenstation ein Alarm ausgelöst und folglich eine Schwester benachrichtigt, die das Baby in Empfang nimmt. „Das Wärmebettchen ist immer auf 37 Grad temperiert“ erklärt Katrin Klemke, Ärztin am Elisabeth-Krankenhaus. „Dann machen wir eine Routineuntersuchung und einen Ultraschall. Außerdem versuchen wir festzustellen, wie alt das Kind ist, falls die Mutter keine Notiz hinterlassen hat.“
Vertrauliche Geburt als Alternative
Doch gibt es beim Modell Babyklappe keine Möglichkeit für das Kind, irgendwann selbst Kontakt zur Mutter aufzunehmen. Anders ist dies bei einer vertraulichen Geburt, die der Gesetzgeber seit Mai vergangenen Jahres gestattet. Hierbei kann eine Frau auf Wunsch ihr Kind anonym in einem Krankenhaus zur Welt bringen und wird dabei umfassend medizinisch versorgt. In Essen kam dies bislang zweimal vor, wobei die Mutter in einem Fall ihr Kind zurückholte. Susanne Thelen kann sich noch gut daran erinnern: „Die Frau hatte ihre Schwangerschaft vollkommen verdrängt und wurde zuhause von der Geburt überrascht. Mit dieser Situation fühlte sie sich offenbar überfordert.“ Doch die Muttergefühle der 30-Jährigen siegten am Ende und sie traf die Entscheidung, das Kind zu behalten. „Knapp zwei Wochen nach der Geburt hat sie das Kleine wieder abgeholt“, erzählt Susanne Thelen.
Bei der vertraulichen Geburt erhält die Frau über die Beratungsstelle ein Pseudonym, das sie bei dem kooperierenden Krankenhaus angeben muss. Entscheidet sie sich gegen ein Leben mit dem Kind, kann sie die Klinik nach der Geburt anonym verlassen. Die Beratungsstelle sendet derweil einen versiegelten Umschlag mit den Daten der Mutter an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, zu dem das Kind im Alter von 16 Jahren Zugang erhält. Doch laut Hermans hat das Gesetz einen Denkfehler: „Kinder beginnen schon mit Einbruch der Pubertät, sich mit ihrer Herkunft zu beschäftigen. Deshalb sollten sie schon mit zwölf Jahren den Umschlag öffnen dürfen.“