Essen. . Wenn Essen sich mit dem vorausgesagten Schrumpfprozess nicht abfinden will, braucht es Flächen für Woh-nungsbau und Gewerbebetriebe. Aber wo? Die Stadtplaner präsentierten gestern eine stattliche Vorschlags-Liste.
Es ist ein Wiedersehen mit alten Bekannten: Der Heuweg in Überruhr ist dabei und das Ackerland zwischen A52 und Flughafen, die Mecklenbecksweg Wiese in Horst und der Reibenkamp in Freisenbruch.
Oh ja, hier wäre Platz, um Häuser zu bauen oder Firmen anzusiedeln. Hier ließe sich ganz praktisch umsetzen, was sich theoretisch so schön anhört: dass Essen sich mit dem Stillstand oder auf längere Sicht mit dem allseits vorhergesagten Schrumpfprozess nicht abfinden soll, sondern wachsen: wieder mehr Einwohner, mehr Firmen, das stärkt die Stadt und davon profitieren die Bürger.
Es sei denn natürlich, die neue Siedlung, das neue Gewerbegebiet – sie entstehen dort, wo man selbst gern abends den Fiffi ausführt, wo man joggen geht und sich am sprießenden Grün erfreut, die Weite des Ackerlands um die Ecke preist oder im Kleingarten die eigene Krume bestellt. Dann soll am besten alles so bleiben, wie es ist.
Über alte Flächen neu nachdenken
Schon vor Jahr und Tag holten sich deshalb manche Politiker wie Planer eine blutige Nase, als sie es wagten, Grün- und Ackerflächen erst in Gedanken und später auch auf Plänen mit Einfamilienhäusern oder Gewerbebetrieben zu besiedeln. Dass sich anno 2015 die Flächen-Auswahl nicht sehr viel anders darstellt als dereinst, wollen die Stadtplaner im Deutschlandhaus nicht etwa als Affront verstanden wissen. Sondern als schlichte Erkenntnis, dass seither niemand bis dato unbekannte Areale herbeigezaubert hat: „Wir können Essen nicht neu erfinden“, sagt achselzuckend der Leiter des Planungs- und Bauordnungsamtes, Ronald Graf.
Also nimmt man einen neuen Anlauf, auch für die alten Grundstücke zu werben: „Wir sind eine halbe Generation weiter“, sagt Planungsdezernent Hans-Jürgen Best, manche Entscheider in Rat und Bezirksvertretungen hätten gewechselt und hier und da vielleicht auch ein Sinneswandel eingesetzt: „Es gibt also keinen Grund, trotz damaliger Widerstände darüber heute nicht noch einmal neu nachzudenken.“
Und nachzudenken tut Not, das haben Stadtplaner wie Wirtschaftsförderer schriftlich. So gibt es stadtweit zwar noch 85 Wohnbauflächen mit einer Gesamtgröße von 119 Hektar, doch mittelfristig, das heißt in den zehn Jahren bis 2025, fehlen nach einer Studie des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) in Essen Flächen für 745 Wohneinheiten allein im Segment der Einfamilienhäuser. Vor allem in den Stadtbezirken II, IV, VIII und IX ist die Nachfrage hoch und das Angebot dürftig.
Ähnlich prekär erscheint die Lage bei den Gewerbegebieten: Noch stehen rund 125 Hektar zur Ansiedlung von Firmen bereit oder zumindest mittel- bis langfristig in Aussicht. Doch allein kurzfristig müssten weitere 15 Hektar ausgewiesen werden, ergab eine Studie des Büros für Regionalentwicklung/Gerhard Seltmann. Mittelfristig, also innerhalb der nächsten fünf Jahre, müssten weitere 63 Hektar hinzukommen.
30 Flächen stehen zur Debatte
Wo wohnen, wo arbeiten? In den vergangenen Monaten haben die Stadtplaner noch einmal alle Flächen geprüft, von denen sie glauben, dass sie – über die bereits bekannten Areale hinaus – im Grundsatz für eine Bebauung in Frage kommen. 23 neue Wohnbauflächen mit einer Fläche von 55 Hektar wurden gefunden, dazu sieben Gewerbeflächen über zusammen 82 Hektar, diese fast ausnahmslos im Essener Süden. Zu den Kriterien gehörten dabei, dass möglichst nicht Solitär-Standorte entstehen, sondern der bisherige Siedlungszusammenhang gewahrt bleibt und die Erschließung mit vertretbarem Aufwand zu stemmen ist.
„Die Frage, wo welcher Widerstand gegen Baupläne zu erwarten ist, war für uns kein Kriterium“, beteuert Planungsamts-Leiter Ronald Graf – abzusehen schon daran, dass man sich auch traute, Kleingarten-Areale in Borbeck, Haarzopf oder Burgaltendorf ins Fadenkreuz zu nehmen.
Proteste sind da wohl programmiert, aber „wir haben keine Scheuklappen“, sagt Planungsdezernent Hans-Jürgen Best, „und lassen uns auch auf kritische Diskussionen ein.“ Kritische Debatten, nicht nur mit den Bürgern, sondern auch mit der Politik, wobei am Ende nicht stehen dürfe, „dass der, der am lautesten schreit, Recht bekommt und jegliche Neubaupläne verhindert: Das wäre das Recht des Dschungels.“ Bei Best schimmert da die Skepsis durch, dass mancher von seinen Nachbarn bedrängte Mandatsträger sich den Schneid abkaufen lassen könnte: „Ich hoffe, die Politik hat den Mut zu sagen: Ja, wir wollen einen Schritt nach vorn gehen.“
Erste Gelegenheit dazu gibt es nächste Woche, wenn die Grundstücksliste im Planungsausschuss des Rates debattiert wird und damit einen ersten Filter durchläuft: „Wir würden uns wünschen, dass wir die Flächen weiter bearbeiten dürfen“, sagt Planungsamtsleiter Graf, denn die Liste enthält die Grundstücke für übermorgen: Vielerorts muss der Regionale Flächennutzungsplan geändert, nahezu überall ein Bebauungsplan aufgestellt werden: Das dauert.
Und löst am Ende doch nicht alle Platzprobleme, denn gestillt wird mit den Flächen nur die Essen-interne Nachfrage. Externe Interessenten kämen noch dazu, was bedeutet: Nach der Liste ist vor der Liste...