Essen. . Guido Halling wurde zur Frau und fing mit seiner Frau ein neues Leben an. Von den Menschen sind sie angenommen worden, beruflich gab es keine Chance.
Vor vier Jahren kam Guido Halling nach Essen, an seiner Seite seine große Liebe und Ehefrau Sabine. Mit ihr hat er die Stadt nun wieder verlassen: als Frau. Denn am 21. Oktober 2011 wurde aus Guido Pamela. Zunächst auf Papier in sämtlichen Urkunden und Dokumenten, später durch Hormone und Geschlechtsanpassung auch körperlich.
Bis dahin aber ist ihr Weg ein schwerer, ein aufregender und vor allem einer, mit gutem Ausgang: „Ich bereue nichts und bin glücklich in meinem Körper.“ Erst mit seiner neuen Partnerin findet Guido Halling damals heraus, was eigentlich mit ihm los ist. Transsexualität lautet die Lösung, auf die sie eher zufällig im Internet stoßen. Er befindet sich im falschen Körper und gibt sich dabei betont männlich, um ja nicht aufzufallen.
Hinter der Kulisse steckt ein tieftrauriger Mensch
Guido Halling ist jahrelang Familienvater, Oberfeldwebel, Kfz-Mechaniker und Elektroniker, später Dozent und Ausbilder in der Computer-Branche. Hinter dieser Kulisse steckt jedoch ein tieftrauriger Mensch, der sich schon als Schüler lieber wie die Mädchen geschminkt und frisiert hätte. Der sich als Mann in seinem Büro einschließt, um zumindest dort für den Augenblick Frau zu werden – bis seine damalige Ehefrau den kleinen Vorrat an Frauenkleidern findet.
Nach der Scheidung raufen sie sich zusammen, so dass der Kontakt zu den beiden Töchtern nie abreißt. Das rettet Guido Halling das Leben, ebenso wie seine neue Partnerin Sabine. Denn sie zweifelt nie an ihrer Liebe, auch nicht als nach und nach aus ihrem Guido Pamela wird. Den Beginn macht ein Aufenthalt in der Psychiatrie, weil Sabine Halling spürt, dass ihr Partner nicht mehr leben will. Sie erfahren schließlich mehr über Transsexualität, über Menschen, die im falschen Körper leben. „Das hat mit Sexualität nichts aber zu tun“, betont Pamela Halling, spricht ohnehin lieber von Transidentität und betont immer wieder, kein Paradisvogel zu sein: „Das alles war kein Ego-Trip, sondern mein Weg zu überleben.“
Ein Jahr als Frau auf Probe leben
Lebensgeschichte und Bruch der Identität
Mit ihrem Leben ging Pamela Halling offensiv im Blog „Schlaflos in Essen“ um, der inzwischen geschlossen wurde, weil sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Zuvor veröffentlichte sie ein Buch unter gleichem Titel. Das Paar trat im ebenso Fernsehen auf, im WDR oder im NDR. Weiterhin mischt sich Pamela Halling jedoch in politische Debatten rund ums Thema Transidentität ein.
„Transsexualität ist eine Geschlechtsidentitätsstörung, bei der das eigene körperliche Geschlecht als fremd empfunden wird“, erklärt Prof. Wolfgang Senf, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Uni-Klinikum. Oft wüssten diejenigen das erst einzuordnen, wenn sie mehr darüber erfahren. Die Außenwelt reagiere mitunter mit Begriffen wie „Laune der Natur“ oder verortet es gar im Rotlichtmilieu. Senf: „Es gibt keinen vergleichbar radikalen Bruch in der Identität eines Menschen wie bei der Entwicklung einer Transsexualität.“
Das Paar entschließt sich, nach Essen zu ziehen, weil es am Klinikum mit Spezialisten endlich Hilfe für sie gibt – und Zukunft. Für Guido bedeutet das zunächst ein Jahr als Frau auf Probe leben. Er setzt sein Antidepressivum ab, nimmt stattdessen Hormone. An seiner Seite immer ein Therapeut, Sabine und die Kinder. Schließlich werden per Gerichtsurteil alle Dokumente geändert, es gibt nur noch Frau Oberfeldwebel, die Elektrikerin und Kfz-Mechanikerin. Es folgt Stimmtraining. Bartwuchs und Körperbehaarung nehmen ab, die Brust wächst. Irgendwann heißt die letzte Konsequenz: Brustaufbau und auch die Geschlechtsanpassung in zwei großen Operationen. Was von Guido bleibt, „sind ein paar graue Haare, die ich rasieren muss“, sagt Pamela Halling lachend, kennt aber auch Rückschläge wie einen Schlaganfall.
TranssexualitätDen größten Unterschied zwischen Guido und Pamela gibt es nun für Tochter Michelle in der neuen Gelassenheit. „Papa war früher ein Arbeitstier“, sagt die 15-Jährige. Inzwischen verbringen sie viel mehr Zeit miteinander, teilen ihre Pubertät, die Abneigung gegen Röcke und genießen gemeinsame Einkäufe. Für Michelle ist Papa jetzt Pam: „Ich war natürlich überrascht, als Mama uns zum ersten Mal ein Foto gezeigt hat.“ Es sei neu gewesen, aber sie habe sich schnell daran gewöhnt. „Papa wurde in eine Prinzessin verwandelt“, nannte es die kleine Tochter, die nun in dieses neue Leben hineinwächst.
Michelle spricht über diese Veränderung offen mit Freunden. „Mein Freund muss es später nicht super finden, er sollte aber Verständnis haben“, sagt die 15-Jährige. So viel Verständnis und Kraft wie ihre Mutter hatte, die Besuche der Kinder in Essen ermöglichte.
Eltern brechen Kontakt abrupt ab
Die Eltern von Pamela Halling hingegen brechen den Kontakt abrupt ab. „Das letzte Mal sahen wir uns vor Gericht“, sagt die 42-Jährige. Die beiden fühlten sich bedroht, sie darf sich dem Elternhaus nicht mehr nähern. Stattdessen schreibt Pamela Halling unzählige Briefe an den Vater und formuliert Sätze wie: „Ich vermisse dich sehr“. Lange Zeit habe sie voller Erwartungen täglich ihre Post aus dem Briefkasten geholt. Dass nie Antwort darin ist, verletzt sie sehr.
„Abgeschlossen“, sagt sie zu dem Kapitel und schließt jetzt mit ihrer Partnerin ein weiteres in Essen, „wo ich so viel erlebte, dass es für vier Leben reicht.“ Sie sind vor kurzem nach Ibbenbüren zur Familie von Sabine Halling gezogen, die vier erwachsene Kinder hat. Pamela und Sabine Halling sind sechsfache Omas und die Familie braucht ihre Unterstützung.
Verschweigt Probleme mit Jobcenter und Arbeitgebern nicht
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Essen verlassen sie mit viel Wehmut, weil sie sich in ihrer Altendorfer Wohnung richtig wohl fühlten. „Wegen unserer Nachbarn, der Vermieter und der Menschen hier, die uns jederzeit offen und ehrlich begegneten“, sagen die beiden. Hergekommen seien sie wie zwei Landeier, für die selbst U-Bahn-Fahren zur Herausforderung wurde. „Wir wollten hier bleiben und alt werden“, sagt Pamela Halling, verschweigt aber auch die Probleme mit Jobcenter und Arbeitgebern nicht. „Bei der Suche nach einem Job hörte die Toleranz auf. Mit vier abgeschlossenen Ausbildungen wurde ich behandelt wie eine Schulabbrecherin.“ Selbst die Bewerbung auf eine 40-Stunden-Woche im Call-Center für 800 Euro netto wird abgelehnt, die für den Ein-Euro-Job ebenso. „38-Jahre lang habe ich alle belogen und war beruflich erfolgreich“, sagt Pamela Halling und verbirgt ihre Enttäuschung nicht, „denn nun bin ich ehrlich und bekomme beruflich keinen Fuß mehr auf den Boden.“ So sehr sie sich anfangs zu Hause fürs Bügeln, Kochen und Putzen begeistert, fällt ihr doch bald die Decke auf den Kopf. Es fehlt mitunter Geld für Fahrkarten, um die Kinder zu besuchen oder etwas zu unternehmen.
Nun rücken sie mit ihrem Umzug gleichzeitig in die Nähe der beiden Töchter: „Ich freue mich wahnsinnig, dass uns nur noch eine Stunde Fahrt trennt“, sagt die 42-Jährige. Damals verließ Guido das kleine Heimatdorf, um den Mädchen den Spießrutenlauf zu ersparen. Inzwischen aber hat Pamela Halling wieder Kontakt zu ehemaligen Kameraden bei der Bundes- und Feuerwehr. Nach Essen werden sie zum Einkaufen gern wiederkommen: „Wir haben uns in die Stadt verliebt“, sagt Pamela Halling und verrät ihren großen Wunsch für die Zukunft: „Ein ganz normales Leben.“